Dr. Edmund v. Fellenberg
Ueber den Flussspath von Oltschenalp
und dessen technische Verwerthung.
"Ein historisch-naturwissenschaftliches Memorandum
für spätere Zeiten"
Vorgetragen in einer Sitzung der Naturforschenden Gesellschaft Bern
vom 16. Februar 1889.
In unsern Alpen ist der Flussspath oder Fluorit keine Seltenheit
und tritt im Gebiete des Protogins (Gneissgranits), der verschiedenen Gneisse und
krystallinen Schiefer nicht selten und mitunter in vorzüglicher Färbung und
interessanten Krystallformen auf...
Im Jahre 1830 entdeckten einige Aelpler am Fuss des Oltschikopfs (2235 m) auf Oltscheren
in einer Schutthalde Bruchstücke eines glänzenden, späthigen Minerals von
ausgezeichneter Durchsichtigkeit, welches sie natürlich für Strahlen, d.h. Bergkristall
hielten.....
Eine Original Etiquette (siehe Vitrine) im Berner Museum (heute
im Naturhistorischen Museum zu Basel Anm. P.)von der Hand des Herrn Berghauptmann Beckh
sel. in Thun, die bei einer schönen Gruppe wasserhellen Flussspathes liegt, lautet:
"Flussspath, Spaltungsoctaeder aus einer Lettenkluft der Burg auf der Alp Oltscheren
vis-à-vis von Brienzwyler. 1830 von Hans Fischer und Mithaften von Brienzwyler circa 200
Centner ausgebeutet, wobei Krystallmassen von 2 Centner dabei waren."
G.S. Beckh, Bergbau-Verwalter
Im Sommer 1886 sollte die Oltschener Waare wieder der Vergessenheit entrissen werden. Herr
Dr. Abbe, Professor der Physik an der Universität Jena, hatte auf der Nachsuche nach
wasserhellem Flussspath bei Herrn Mineralienfactor B. Wappler in
Freiberg (Sachsen) Stücke von solchem gesehen, die Herr Wappler viele Jahre vorher im
Austausch gegen sächsische Mineralien von mir erhalten hatte.
Wappler gab an, die Stücke von mir erhalten zu haben, und gab ganz richtig als Fundort
das untere Haslithal im Kanton Bern an. Nach dieser Auskunft
reiste
Herr Professor Abbe sofort nach der Schweiz und suchte mich auf. Er zeigte mir ein
Spaltungsstück durchsichtigen Flussspathes vor mit dem Befragen, ob ich ihm angeben
könne, wo dieses Mineral in der Schweiz zu finden sei.
Ich erkannte es sofort als Oltschener und zeigte Herrn Abbe die aufgestellten Exemplare im
Berner Museum und konnte ihm unverzüglich zu sehr schönen Preisen alle Doubletten dieses
Vorkommens sowie einige sehr schöne Massen aus dem Bürki-Nachlass verkaufen und wies ihn
an jemand, der vielleicht noch die Lokalität kennen möchte, an den Direktor des
pyrotechnischen Laboratoriums in Oberried bei Brienz, den früheren Gymnasiallehrer Herr
Hamberger, sowie an den Wildhüter und Jäger Caspar Blatter und seine Brüder,
Pflanzensammler in Meyringen, die ihm am ehesten über die Fundstätte des Flussspathes
auf Oltscheren Auskunft geben könnten.
Professor Abbe kam nicht unverrichteter Sache zurück, sondern hatte sich mit Guttanner-
und Meyringer-Krystallsammlern in Verbindung gesetzt, und es wurde die Umgebung der
Oltscheren-Alp neuerdings nach Flussspath abgesucht, ja es gelang schon im Herbst 1886,
die alte Fundstelle oder Höhle an der Burg (siehe Beckh's
Etiquette) wieder zu entdecken und neuerdings zugänglich zu machen. Jedoch erwies sie
sich als vollständig ausgebeutet.
Ueber die weiteren Untersuchungen hatte Herr Prof. Abbe die Güte mir zu berichten wie
folgt, mit der Erlaubnis, von seinem Bericht Gebrauch zu machen.
Er schreibt unter dem Datum des 23. October 1886 unter anderem folgendes, da ich nur
dasjenige anführe, was in Bezug auf die Geschichte der Flussspathfunde im
Oltscheren-Gebiet von Wichtigkeit ist, de dato Jena:
" Ich habe nun alsbald, nachdem ich in Bern (August 1886) war, die durch Ihre Güte
erhaltenen Notizen über den Ursprung des wasserhellen Fluorits, so weit ich konnte,
weiter verfolgt, um womöglich die Quelle selbst wieder zu erschliessen - denn davon
hängt zunächst alles ab. Die ganze Sache bleibt ein blosses Experiment, ohne praktische
Folgen, wenn es nicht gelingt, eine Fundstelle aufzufinden, welche wenigstens etliche
Centner guten Fluorits liefern kann.... "
" Bis jetzt bin ich damit freilich nicht glücklich gewesen. Herr Hamberger (Vater,
Pyrotechniker in Oberried, früher Lehrer an der Realschule in Bern), dessen Adresse Sie
mir gaben, hatte noch ein paar Kilo Flussspath, die er mir abtrat - leider fast völlig
unbrauchbar, wie sich jetzt bei genauerer Untersuchung herausstellt. Ueber die Fundstelle
selbst wusste er aber auch Genaueres nicht anzugeben; er war selbst nicht dort gewesen.
Ich habe nachher ein paar Haslithaler Krystallsucher beauftragt, auf der Oltscheren-Alp
nach Fluorit zu suchen, indem ich Ihnen die durch Sie erhaltene Notiz (über den Fund von
1830) als Richtschnur und Stücke wasserhellen Fluorits als Proben mitgab. Da diese Leute
aber im September viel mit ihren Wirthschaftsangelegenheiten zu tun haben, so haben sie
zwar die Gegend vorläufig einmal inspicirt, ein genaueres Untersuchen aber erklärten sie
erst im nächsten Sommer für thunlich.
Die bestimmteren Angaben von Beckh (gewesenem Berghauptmann in Thun, siehe oben) welche
Ihr heutiger Brief mir mitteilt, namentlich die Notiz: "Lettenkluft der Burg"
und "vis-à- vis Brienzwyler" können vielleicht für die Sache im nächsten
Sommer werthvolle Anhaltspunkte darbieten. Im nächsten Jahre werde ich, so bald ich kann,
wieder nach der betreffenden Gegend gehen, um die Leute zu weiteren Nachforschungen zu
animiren "
Im Spätherbst 1886 oder im Frühjahr 1887 wurde die Durchforschung des Gebietes der
Oltscheren-Alp, der Burg, des Oltschikopfs u.s.w. von den Krystallsuchern M. Ott und C.
Streich von Guttannen, sowie von Wildhüter Caspar Blatter und seinem Sohn Melchior (Menk)
energisch fortgesetzt und es gelang den Betreffenden, nicht nur die alte Höhle,
respective die ausgeräumte Lettenkluft vom Jahr 1830 wieder aufzufinden und unter
Anwendung von Leitern wieder zugänglich zu machen, sondern eine neue Localität zu
entdecken, die in Betreff der Schönheit grüngefärbter Krystallgruppen und wohl
ausgebildeter Einzelkrystalle von Flussspath wohl bis jetzt unübertroffen dasteht. Es
kamen nämlich im Laufe des Frühsommers 1887 die erstgenannten "Strahler" nach
Bern und boten dem Naturhistorischen Museum eine Reihe ganz prachtvoller Krystallgruppen
zum Kaufe an.
In den zartesten Farbentönen von lichteisbläulichen und zartapfelgrünen bis zu
tiefdunkelgrünen waren alle Nuancen des Grünen in theilweise prachtvoll ausgebildeten
Individuen von 1 Centimeter Durchmesser bis zu einem Riesenkrystall von über 20
Centimeter Kantenlänge vertreten. Die Flussspathkrystalle dieses neuen Vorkommens zeigten
alle rauhe Oberfläche, einzelne wie marmoriert oder wie chagrin und moiré aussehend, die
meisten zeigen Eindrücke auf den Flächen, andere sind mit unregelmässigen Löchern
bedeckt, die stellenweise so zunehmen, dass aus den Krystallen völlig zerfressene,
löcherige, wie gehackt aussehende Krystallmassen werden.
Manche der helleren Stücke sehen aus wie Eis, welches an der Sonne zu schmelzen anfängt.
Die meisten Krystalle zeigen den Würfel, einige combinirt mit dem Rhombendodecaëder,
dessen Flächen dann immer matt sind, und einzelne Krystalle zeigen noch die
Eckenabstumpfung des Achtundvierzigflächners. Jedoch nicht nur die Krystallsucher Ott und
Streich brachten grünen Flussspath in den Handel, sondern auch die Blätter von
Meyringen, Vater und Sohn hatten ganz vorzügliche Stufen zum Verkauf angeboten und zwar
einzelne Gruppen und Einzelkrystalle von absolut reinstem Wasser und vollkommener
Farblosigkeit.
Da ich nun wusste, dass Herr Professor Dr. Abbe unter vielen pecuniären Opfern und
Vorschüssen bedeutender Gelder die Durchforschung des Oltschener Gebietes angeregt hatte,
war ich erstaunt, das Material anderswohin als an den eigentlichen Urheber der Ausbeutung
verkauft zu sehen.
Auf mein Befragen antworteten mir die beiden Strahler M. Ott und Streich, sie hätten
keinen verbindlichen Accord mit Herrn Prof. Abbe, sie hätten ihm bloss versprochen, den
farblosen Flussspath abzuliefern, mit dem gefärbten dürften sie anfangen, was sie
wollten, übrigens hätten sie jetzt die rechte Lagerstätte gefunden und es sollte Jemand
wagen, sie davon zu vertreiben, es käme Einer schlecht weg u.s.w.
Ich hielt es denn doch für meine Pflicht, Herrn Prof. Dr. Abbe von den neuen Funden in
Kenntniss zu setzen, zumal allmählig überall, im Ober-Wallis, im Gadmenthal und an der
Gotthardstrasse grüner Flussspath von Oltscheren zum Verkauf angeboten wurde. Allein das
Berner Museum hatte aus einer ganzen Sendung eine Suite Krystalle gekauft und zu einer
Gruppe unter Glasglocke vereinigt, im Ankaufspreis von Fr. 350, welche jetzt eine der
schönsten Zierden der an Prachtstücken so reichen Mineralien-Sammlung dieses Institutes
bildet.
Professor Abbe schrieb von Jena am 26. Juni 1887 als Antwort auf meine Meldung folgendes:
" Von besonderem Interesse ist es mir, aus Ihrem geschätzten Schreiben zu erfahren,
dass meine Bemühungen um die Wiederauffindung der alten Fundstelle wenigstens den Erfolg
gehabt haben, mineralogisch interessante und werthvolle Specimina von Flussspath zu Tage
zu bringen. Die beiden Krystallsucher Ott und Streich aus Guttannen und Boden, welche Ihre
Lieferanten ohne Zweifel gewesen sind, haben in der That ihre Nachforschungen auf meinen
Antrieb und auch ganz auf meine Kosten unternommen, und diese Nachforschungen, nachdem sie
(angeblich) festgestellt hatten, dass an der alten Stelle auf der Oltschen-Alp nichts mehr
zu finden sei - auf andere Berge am Brienzersee ausgedehnt "
" Mir haben die Genannten einmal im vorigen November und dann wieder vor Kurzem je
ein beträchtliches Quantum Fluorit gesandt, in Form von unregelmässigen Brocken, stark
durch Wasser oder Eis corridirt, meist ohne Andeutung von Krystallform - augenscheinlich
aus Lehmgrund zusammengelesen (nicht abgebrochen). Leider aber war davon so gut wie nichts
brauchbar - alles ganz dicht durchsetzt von nebligen Schichten, gebildet durch feine
Luftblasen, so dass nur mit vieler Mühe hie und da ein ganz kleines, klares Stückchen
herauszuspalten war. Ich warte aber zur Zeit noch darauf, dass sich bei weiterem Suchen
solcher Flussspath finden werde, der in der durchschnittlichen Reinheit dem alten Fund
wenigstens einigermassen gleich kommt; andernfalls müsste die beabsichtigte Anwendung
für optische Zwecke wieder aufgegeben werden, da dasjenige, was ich - durch Ihre
freundliche Beihülfe - von den Ueberresten jenes früheren Fundes erhalten habe, für die
Versuche ziemlich aufgegangen ist.
Den genannten beiden Krystallsammlern gegenüber habe ich mich von Beginn an auf den
Standpunkt gestellt, das ganze Risico etwaigen vergeblichen Suchens meinerseits zu tragen
und sie durch eine liberale Bezahlung für ihre, ohne Zweifel mühsame Arbeit zu eifrigem
Nachsuchen anzuspornen. Auf diese Weise hat mich das Unternehmen der Beiden bis jetzt
über 900 Francs gekostet, die sie theils als Vorzahlung für das hierher gesandte,
thatsächlich fast werthlose Material von mir erhalten haben - auf ihre ausdrückliche
Versicherung hin, dass sie bei ihren vielfachen, beschwerlichen Expeditionen durchaus
nichts Anderes, für sie Verwerthbares, gefunden hätten. In diesem letzteren Punkte haben
mich die Beiden augenscheinlich hinter's Licht geführt; ich bin damit zufrieden, dass
diese verheimlichten Funde wenigstens an diejenige Stelle gekommen sind, wohin sie
naturgemäss gehören und wohin ich selbst sie sofort verwiesen haben würde, wenn ich
darüber Kenntniss erhalten hätte ....."
" Bis zum Herbst wird es sich nun wohl entscheiden, ob in der betreffenden Gegend
Fluorit zu finden ist, der eine regelmässige Verwendung für optische Zwecke zulässt -
oder nicht ".
So weit Prof. Abbe.
Für uns ist das Facit mit wenig Worten folgendes: Prof. Abbe gibt gegen Tausend Franken
den Strahlern in die Hände, meist als Vorschuss zum Suchen und als Aufmunterung zu
gefährlichen (?) Expeditionen und als Bezahlung für werthlosen, zerbrochenen Schund und
Abraum und dieselben löblichen beiden Strahler finden endlich eine mit den herrlichsten
Kabinetstücken erfüllte, neue Lehmkluft, leichter zugänglich als jede andere, beuten
dieselbe fröhlich aus, verkaufen für mehr als tausend Franken der herrlichsten
Kabinetstücke in alle Welt, aber derjenige, der sie zu der Untersuchung angeregt hat, in
dessen Sold sie gleichsam stehen, dem sie, wenn abgerechnet werden sollte, noch mehrere
Hundert Franken schuldig wären, der gute Herr hat das Nachsehen, vernimmt erst später
vom Funde, nachdem unter der Hand die geheime Beute längst lachend vertheilt ist!
Dies ein neues, nettes Müsterchen von der sogenannten Biederkeit der Alpensöhne! Doch es
hat alles sein Ende, so auch die Raubwirthschaft und das Flibustierthum!
Nachdem allerorts von den Blättern, von den Guttannern und anderen im Laufe des Sommers
1887 immer mehr schöner Flussspath in den Handel gelangt war, kam es endlich der Gemeinde
Brienzwyler, auf deren Gebiet die Oltschiburg und die Alp Oltscheren liegt, in den Sinn,
dass der Flussspath da oben eigentlich ihr Eigenthum sei, so gut wie das dort wachsende
Gras und dass sie aus der Verpachtung der Ausbeutung des Flussspathes etwas ziehen
könnte, und liess ein amtlich genehmigtes Verbot gegen Ausbeutung oder Suchen nach
nutzbaren Mineralien auf ihrem gesammten Territorium anschlagen und in den Localblättern,
sowie im Amtsblatt des Kantons Bern publiciren, und es wurde der Senne der
nächstliegenden Alp (Oberfeld) mit der Beaufsichtigung des Oltschikopfs, der Burg und
Umgebung betraut.
Text gekürzt von Kurt Paulus. Quelle : Mitt. Naturf. Ges. Bern (1889) p.202-219
12.9.96 Kurt Paulus