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Die medizinische Schule von Montpellier

Ciba-Zeitschrift Oktober 1937 Nr.50

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Medizinunterricht im Mittelalter. Miniatur aus einer Handschrift vom Anfang des 15. Jh. (Chirurgie de Guy Chauliac etwa 1300 - 1370, eines berühmten Lehrers der Schule von Montpellier). Nationalbibliothek Paris
 

Zur Entstehung der mittelalterlichen Hochschulen

 

Von Dr. A. G. Chevalier

 

Dem Glaubensgrundsatz entsprechend, daß Gott der höchste Erzieher sei, hatte im Mittelalter die Kirche, als Ausdruck der göttlichen Weltordnung auf Erden und als berufene Hüterin des Heiles der Menschen, über die Erziehung und das Unterrichtswesen zu wachen. Vom Elementarunterricht in den Klosterschulen bis zu den Universitäten, die zu bestimmten Berufen vorbereiteten, lag die Ausbildung in ihrer Hand.
Aber bald verschmolz die christliche Heilslehre mit den überlieferten Geistesgütern: die Lehren von Plato und Aristoteles, arabisch-jüdische, an antiken Quellen bereicherte Weisheit, frühmittelalterliche Mystik, Volksaberglaube und Magie - alles verband sich zu einem einzigen, mächtigen, kunstvoll konstruierten System, dem der mittelalterlichen Scholastik.
Die frühesten kirchlichen Lehrinstitute waren die Kloster- und Domschulen. Die Weltgeistlichen wurden, besonders in Frankreich, die Schöpfer eines Unterrichtssystems, das für dieses Land und allmählich auch für die gesamte abendländische Kultur von entscheidender Bedeutung werden sollte. Unter ihrer Führung entstand im 11. Jahrhundert eine Organisation, die sich an Vorbilder des klassischen Altertums anlehnte, wie z. B. an das Museion der Ptolemäer in Alexandria aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. und an das Athenäum des Kaisers Hadrian, das auf die Philosophenschulen von Athen zurückging, ferner an die arabischen Medersen (madrase, volksarabisch = Schule, Ort des Unterrichtes, Plural: madaris) in Spanien, Sizilien und einigen Städten Asiens.
Der Unterricht umfaßte die "Sieben freien Künste", nämlich Grammatik, Dialektik und Rhetorik "Trivium", Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie "Quadrivium"; auch Unterricht in der Heilkunde, besonders über die Verwendung von Heilkräutern, war im Lehrplan vorgesehen.
Diese frühmittelalterlichen Lehrinstitute hießen "scolae" oder "scolae publicae". Im 12. Jahrhundert taucht die Bezeichnung "Studium" auf, sie galt ursprünglich nur für den Unterricht, später, im 13. Jahrhundert, auch für die ganze Lehranstalt, und in dieser Bedeutung wird das Wort allgemein gebräuchlich. "Studium-generale" wird für den Begriff der Schule zum ersten Male 1233-1234 In den Ketzerstatuten der Stadt Vercelli in Piemont angewendet; die synonyme Bezeichnung "studium universale" findet sich schon 1279-1230 in einem Schreiben der Universität Toulouse.
Wenn Kaiser Friedrich II. in bezug auf die von ihm 1224 gegründete Schule von Neapel in einem Schreiben vom Jahre 1239 erklärte: ein "urbe nostra Neapolis ipsius (studii) sedem et cultum indiximus generalem", so ist in dieser Wendung schon der Begriff "Generalstudien" als einer Reichs- und Zentralschule enthalten, deren Unterricht allein offiziell anzuerkennen ist. Die kleineren, lokalen Schulen, denen der offizielle Charakter fehlte, wurden als Partikularstudien bezeichnet. Bei seinem Gründungsbrief hatte Friedrich II. sicher nicht nur an eine auf Inländer beschränkte Reichsschule gedacht; Ausländer sollten herangezogen werden, was wohl aus den Worten estudii sedes ac cultus generalis" und "scolae generales" zu schließen ist.
In den Akten der Generalkapitel der Dominikaner vom Jahre 1246 finden sich die Bezeichnungen "studium generale" und "studium solemne" für bestimmte Lehranstalten, die damit von den niederen Lehranstalten, den Partikularstudien, unterschieden werden. Erstmalig durch ein päpstliches Aktenstück besiegelt - durch den Erlaß Innozenz' IV. aus den Jahren 1244/45 - wird jetzt "estudium generale" für höhere Lehranstalten, die eigentlichen Universitäten, allgemein angewendet. Die Universitäten waren übrigens schon im Jahre 1233 durch Papst Gregor IX. offiziell anerkannt worden.
Nur wer an einem solchen Generalstudium eine Lehrbefähigung erworben hatte, durfte an gleichwertigen Schulen ohne neues Examen anerkannt werden; durch diese Bestimmung war die "facultas ubique docendi" festgelegt.
Die Stiftungsbriefe zur Errichtung von Generalstudien galten zwar als Voraussetzung zur Privilegierung einer Lehranstalt, doch standen manche bedeutende Universitäten auch ohne jedes Privilegium lange Zeit in hoher geistiger Blüte: Montpellier und Cambridge genossen schon internationalen Ruf, bevor päpstliche Bullen sie öffentlich anerkannten und mit Promotionsrecht und anderen Privilegien ausstatteten.
Wie sich der Übergang vom Generalstudium zur Universität vollzog, ist schwer festzustellen. Schon im 12. Jahrhundert gab es "universitates", und zwar wird in Bologna eine solche der Scholaren, in Paris dagegen eine "universitas magistrorum" genannt. In beiden Städten wurde außerdem der Ausdruck "universitas magistrorum et scholarium" gebraucht, womit ohne Unterschied des Ranges und des Alters eine Gemeinschaft von Lehrern und Schülern bezeichnet wurde. Dem mittelalterlichen Begriff universitas liegt die Auffassung des justinianischen "corpus iuris civilis" zu Grunde, wonach universitas ganz ähnlich wie corpus einen Verband bedeutete. Erst zu Ende des 14. und anfangs des 15. Jahrhunderts entsteht allgemein für die Gesamtheit verschiedener Disziplinen (Fakultäten) der Ausdruck Universität, nachdem er eine Zeitlang abwechselnd mit studium generale angewendet worden war.
So wie die Summe der scholastischen Weisheit ein festes Gefüge darstellte, das alle Wissenschaften umfaßte und aus dessen kunstvollem Bau kein Stein ausgebrochen werden durfte, so erwuchs allmählich die mittelalterliche Universität mit ihrer straffen inneren Organisation, den spitzfindigen Studienplänen, der Aufteilung in Grundweisheiten, ihrer Abhängigkeit von der Kirchenobrigkeit zu der sichtbaren Form des mächtigen Gedankengebäudes der Scholastik.
Die Wissenszweige, die in der universitas am Ende des 12. und im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts in Frankreich in der Regel gelehrt wurden, waren die Naturwissenschaft, die Medizin und die Heilkräuterlehre, die Rechtswissenschaft, die Metaphysik und Philosophie, und die höchste Weisheit, die Theologie.
Aber bevor noch das scholastische Gebäude innerlich und äußerlich vollendet war, entwickelten sich Anstalten, an denen nur einige oder sogar nur eine einzige Disziplin gelehrt wurde. So entstanden wahrscheinlich schon im 10. Jahrhundert die Medizinschule von Salerno und im 11. Jahrhundert die Rechtsschulen von Padua, Ravenna, Pavia, Verona und Bologna, der ältesten freien Hochschule Europas. Erst waren es Gilden, zu denen sich die Lehrer eines bestimmten Faches zusammenschlossen, die Magister der Theologie, der Rechtswissenschaften und der Medizin. Diese Kollegien wurden von Gregor IX. im Jahre 1231 zum ersten Male öffentlich in Paris anerkannt, was die erste offizielle Einteilung in Fakultäten bedeutete. Nicht lange darauf wurden die "Sieben freien Künste" zu einer vierten, der "Kunst-Fakultät", zusammengeschlossen, aus der die heutige philosophische Fakultät hervorging. Sie umfaßte Latein und Philosophie 'und wurde, obgleich sie ursprünglich nur als Vorbereitungsstufe für die höhere Ausbildung gedacht war, in Paris zur wichtigsten Fakultät, die sogar den Rektor zu stellen hatte.

Die erste unter kirchlicher Obrigkeit stehende Universität mit geschlossener korporativer Verfassung ist die von Paris; sie wurde zum Vorbild für die meisten abendländischen Universitäten. Die geistige Wiedergeburt, die Frankreich im 12. Jahrhundert erlebte, und deren Glanz auf die übrigen Länder ausstrahlte, wirkte sich in den Hochschulstudien aus. Im 13. Jahrhundert wurde die Pariser Universität die berühmteste Europas; zu ihr drängten sich Schüler aller Nationen und an ihr lehrten in großem Ansehen stehende ausländische Mönche, wie der englische Franziskaner "doctor mirabilis" genannte Roger Bacon (1214? bis 1292/1294), der deutsche Dominikaner "doctor universalis" Albertus Magnus (1206?-1280) und der "doctor angelicus" Thomas von Aquin (1225-1274).Oxford und Cambridge folgten als erste dem Beispiel der Pariser Hochschulorganisation und bald darauf die meisten anderen Universitäten.
Unabhängig von Antike und Orient wurden jetzt Lehrsysteme und Unterrichtsorganisationen geschaffen, mit den Studiengraden Bakkalaureus, Lizentiat, Magister und Doktor, mit Fakultäten, Lehrstühlen, Professoren, Dekanen und Rektoren.

 Die Gründung der medizinischen Fakultät in Montpellier

Von Dr. A. G. Chevalier

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des scholastischen Mittelalters, daß die Medizin, die ohne Naturbeobachtung, ohne praktisch prüfende Erfahrung und ohne ständigen Kontakt mit der Umwelt undenkbar ist, in der rein theoretisch gerichteten Universitas auftaucht und ihren Platz neben. den "Sieben freien Künsten" einnimmt.
Diese Erscheinung wird nur dadurch verständlich, daß damals die Medizin unter Hintansetzung empirisch gewonnener Erkenntnisse in den Theorien der arabischen und der arabisierten antiken Heilkunde aufging. Sie konnte sich um so mehr in das System der Scholastik einfügen, als sie ähnliche Methoden wie z. B. die der Dialektik anwendete. Dort, wo diese Eingliederung erfolgte, wie in der Hochburg der Scholastik, der Pariser Universität, wurde sie verhängnisvoll, denn die Medizin wurde durch die Verbindung mit der Philosophie vorwiegend spekulativ und erstarrte in Dogmatik.
Im kleinen Montpellier, das im Gegensatz zu Paris kein Mittelpunkt europäischen Geisteslebens war, entwickelte sich die Medizin unabhängiger, Empirie und Freiheit der Forschung setzten sich hier durch, sodaß die Fakultät dieser kleinen Stadt bald zu den ersten des Abendlandes zählte.
Diese Entwicklung verdankt Montpellier seinen besonderen wissenschaftlichen, geographischen, politischen und kirchlichen Verhältnissen. Die Lage der Stadt ist kaum günstiger zu denken: dem Mittelmeer zugekehrt, in der Nähe Spaniens mit seinen arabischen Gelehrtenschulen und nahe genug an Italien, um das geistige Gut der Antike aus den Händen ihrer unmittelbaren Erben auf dem kürzesten Wege zu erhalten.
Dazu kam, daß gerade zur Zeit, als in Spanien Christentum und Islam in erbitterten Kämpfen aufeinanderprallten, christliche und islamische Völker über alle Religions- und Rassengegensätze hinweg sich in Kunst und Wissenschaft näher kamen. Die enge Berührung beider Kulturen führte in Spanien zur Schaffung wissenschaftlicher Zentren, die teils von französischen Ordensklöstern, teils von spanischen Juden gegründet wurden, die bei der Errichtung der Gelehrtenschulen in Toledo, Tudela, Lucena bei Cordova und anderen Orten mitwirkten. Hier wurde außer Philosophie und Religionswissenschaft auch antike und orientalische Medizin gelehrt. Für die Pflege der medizinischen Wissenschaften waren außerdem noch die zahlreichen spanisch-jüdischen Übersetzerschulen von Bedeutung, die durch Übertragungen arabischer und griechischer medizinischer Schriften ins Lateinische eine wichtige Vermittlerrolle spielten.
Die aus Afrika stammenden Almohaden zwangen um die Mitte des 17. Jahrhunderts die Juden zur Auswanderung, was die Verlegung vieler jüdischer Gelehrtenschulen nach Südfrankreich zur Folge hatte. So entstanden in Béziers, Lunel, Narbonne und besonders in Montpellier Stätten geistigen Lebens. In Montpellier blühten gleichzeitig auch Handel und Gewerbe, gefördert durch den lebhaften Güteraustausch mit Italien und der Levante. Dadurch, wie auch durch die besonders günstigen politischen Beziehungen mit diesen Ländern, erwuchs in dieser Stadt ein kräftiges Bürgertum, das durch eine energische Stadtverwaltung und eine unter starker kirchlicher Autorität stehende Regierung gefördert wurde.

In Montpellier und in seiner Umgebung gab es ferner eine Reihe von großen Spitälern, die von bedeutenden französischen Ordensklöstern errichtet und geführt wurden, Einrichtungen, die Salerno entbehrte, und die zur Entwicklung der medizinischen Schule beitrugen. Während die Medizinschule von Salerno an Bedeutung verlor und die Pariser Fakultät in Dogmen erstarrte, erhielt die Schule von Montpellier neue Impulse von diesen Spitälern, an denen die Ärzte reiches Beobachtungsmaterial fanden.
Die Hochschule von Montpellier gehörte zu den gelehrten Anstalten, die einen päpstlichen Stiftungsbrief besaßen, im Gegensatz zu Universitäten ohne oder solchen mit kaiserlichen bzw. landesherrlichen Errichtungsurkunden.
Die älteste Nachricht über das Medizinstudium in Montpellier stammt aus dem Jahre 1137, in dem Bischof Adalbert II. von Mainz bei den Ärzten in Montpellier Medizin und Naturwissenschaften hörte; jedoch müssen offenbar schon vorher berühmte Lehrer der Medizin in Montpellier gewirkt haben, da eine ganze Reihe von Namen überliefert ist, ohne daß allerdings ersichtlich wird, ob diese Mediziner bereits in einer Art Hochschulverband zusammengeschlossen waren. Der hl. Bernardus schreibt in einem seiner Briefe (Epistel 307), daß im Jahre 1153 der Bischof von Lyon, der auf seiner Reise nach Rom schwer erkrankte, nach Montpellier gebracht worden sei und dort an die Ärzte alles verausgabt habe, was er besaß, und auch das, was er nicht besaß "cum medicis expendit et quod habebat et quod non habebat "). Ferner äußern sich Johann von Salisbury, der Bischof von Chartres, und Cäsar von Heisterbach, Prior eines Zisterzienserklosters der Kölner Diözese, anerkennend über die Medizinschule von Montpellier, deren Bedeutung in diesem Jahrhundert selbst durch die feindselige Ablehnung eines Gilles de Corbeil (1140-1220/ 1240 ?), des Leibarztes des französischen Königs und Anhängers der Salernitaner Schule, nicht gemindert werden konnte.
Als nun Graf Guilhem VIII., Herr von Montpellier (das damals noch nicht zur französischen Krone gehörte),im Jahre 1180/81 ein Edikt erließ, demzufolge jeder einheimische oder fremdländische Arzt, ohne Unterschied der Herkunft und Religion, in seiner landesfürstlichen Stadt medizinischen Unterricht erteilen, oder, wie es damals hieß, Physik lehren durfte, da wuchs der Zustrom von Lehrern und Schülern noch mehr an. Mit ihm stieg auch das Ansehen der Stadt, und der Ruf ihrer Doktoren ging bald weit über die Landesgrenzen hinaus.
Im Laufe der Zeit stellten sich Mißbräuche ein, Berufsneid, Eifersucht und Habsucht unter den Lehrern senkten das Niveau des Unterrichtes, zumal er an keinerlei Vorschriften gebunden war. Die Schüler suchten sich der Bezahlung der Unterrichtsgelder zu entziehen, weigerten sich, die übernommenen Pflichten zu erfüllen und verursachten Streit und Zank; das Prinzip völliger Freiheit im höheren Unterricht erlitt Schiffbruch.
Die Regelung des Unterrichtes, die Bestimmungen über Art und Grenzen der Pflichten von Lehrern und Schülern blieben zu nächst der geistlichen Macht vorbehalten. Vierzig Jahre nach dem Edikte Guilhems VIII. erhalten die Schulen von Montpellier die ersten offiziellen Statuten. Im Jahre 1220 reist der päpstliche Legat Kardinal Konrad nach Montpellier und verkündet in einer feierlichen Versammlung, in Anwesenheit der gesamten Geistlichkeit des nahe gelegenen Bischofssitzes von Maguelone, der Ärzte und Medizinschüler der Stadt, eine Bulle, durch die zwar die bestehenden Schulen noch nicht zu einer einzigen zusammengelegt, wohl aber zu einer Vereinigung - universitas zusammengefaßt und unter die Gerichtsbarkeit des Bischofs von Maguelone gestellt werden. In dieser Bulle wird hervorgehoben, daß der Ruhm der medizinischen Wissenschaft von Montpellier den Papst veranlaßt habe, sich ihr mit der in den Statuten ausgedrückten regelnden Fürsorge huldvoll zuzuwenden. In Rom war also das Aufstreben des medizinischen Unterrichtes in Montpellier bereits wohlbekannt und mit wachsamem Auge verfolgt worden.

Bulle des Papstes Nicolaus IV. von 1298, durch die die medizinische Schule von Montpellier zur "medizinischen Fakultät" erhoben wurde. Archiv von Montpellier.

 

 Von nun an durfte nur derjenige Medizin studieren, der vorher vom Bischof von Maguelone geprüft und für fähig erklärt worden war. Kanzler und Richter, aus der Mitte der lehrenden Ärzte gewählt, sollten Streitigkeiten zwischen Lehrern und Schülern schlichten. Die medizinische Universität "(universitas medicorum, tam doctorum quam discipulorum") - so hieß nun die Gesamtheit der freien medizinischen Schulen von Montpellier - erteilte drei Diplome: das des Bakkalaureus, das des Lizentiaten und das des Magisters; die Promotionen fanden unter Vorsitz des Bischofs und der "Regentes " (Ordinarien) statt, eine Prüfungsordnung wurde festgesetzt, und es wurde bestimmt, daß ohne Nachweis des bestandenen Examens niemand praktizieren dürfe; dies bezog sich jedoch nur auf die Mediziner, während Chirurgen nicht geprüft wurden, da damals ja Medizin und Chirurgie getrennt waren und nicht als gleich gewertet wurden. - Mehrfach wurden die Statuten geändert und den Zeitverhältnissen angepaßt, zum Teil unter Anlehnung an diejenigen von Salerno. Um 1240 war die Organisation der medizinischen Fakultät zunächst abgeschlossen.
Diese Regelung blieb bis zum Jahre 1289 dem eigentlichen Gründungsjahr der medizinischen Fakultät in Kraft. Am 26. Oktober erläßt der Papst Nikolaus IV. eine neue Universitätsverfassung. Nur mehr einer einzigen Schule wird jetzt das Recht der Diplomerteilung zuerkannt, der an ihr erteilte Unterricht ist von jetzt an der einzig offizielle. Von dem Tage an heißt diese Schule "medizinische Fakultät". Sie wurde zwar zusammen mit der juristischen und philosophischen (Artisten-) Fakultät durch diese Bulle zur Universität von Montpellier erhoben, doch bewahrte sie stets eine gewisse Unabhängigkeit und war sogar bestrebt, einen Vorrang vor den anderen Fakultäten zu erringen.
Durch die offizielle Weihe der medizinischen Fakultät wurden die freien medizinischen Schulen jedoch nicht beseitigt; sie bestanden noch eine Zeitlang neben ihr fort, doch durften sie nur unterrichten, nicht aber Diplome erteilen. Ihren Schülern wurde die Pflicht auferlegt, sich vor Ausübung der Praxis den Prüfungen an der offiziellen Schule zu unterziehen. Die vielen mittelalterlichen Verordnungen gegen unlauteren Wettbewerb im ärztlichen Berufe lassen darauf schließen, daß nicht wenige Ärzte diese Diplomprüfungen zu umgehen versuchten.
Geistliche und weltliche Mächte begleiteten das ganze Mittelalter hindurch wohlwollend und schützend die medizinische Fakultät von Montpellier. Papst Johann XXII. verfügte im Jahre 1350, daß bei feierlichen Umzügen der medizinischen Fakultät ihr Pedell (bedeau) ein schweres, leuchtendes Silbergerät vorantragen sollte, ein Sinnbild des Glanzes, der von der Schule von Montpellier ausging.

Vom 14. Jahrhundert an erfreut sich die Fakultät der besonderen Gunst der französischen Könige. Montpellier entsendet Leibärzte an den Hof, und nicht selten setzten die Könige sich für Ärzte ein, die aus Montpellier hervorgegangen waren, wenn es galt, sie Pariser Ärzten gegenüber zu verteidigen.
Die erste große Blütezeit der Schule von Montpellier reichte bis gegen Ende des 14. Jahrhunderts. Damals war die Bevölkerungsdichte in Europa gering, sodaß alle hohen Schulen nur wenig Lehrer und Studenten hatten. Wie klein die Verhältnisse waren, erweist eine Eingabe an Papst Clemens VII. vom Jahre 1378; aus ihr ersieht man, daß es in diesem Jahr an der medizinischen Fakultät 8 magistri in medicina, 3 licentiati, 17 baccalaurei und 27 scholares gab, darunter waren 26 Ausländer, die aus der Schweiz, Deutschland, Spanien, Portugal und den Niederlanden stammten. Trotz der kleinen Zahl von Dozenten und Studenten war der Einfluß von Montpellier sehr bedeutend, denn ein Kollegium von hervorragenden Lehrern dozierte vor einer internationalen, oft erlesenen Hörerschaft.
Anfänglich durfte jeder Magister und mit gewissen Einschränkungen auch die Baccalaurei Kolleg lesen, vorausgesetzt, daß sie wenigstens den ganzen Winter hindurch vortrugen. Die Lehrer einigten sich in ihren Zusammenkünften über den Lehrstoff, den sie behandeln wollten; die älteren hatten dabei den Vorrang vor den jüngeren, und es wurde darauf gehalten, daß eine Materie, die in einem Jahr abgehandelt werden sollte, nicht auf längere Zeit ausgedehnt wurde. Ordentliche Lehrkanzeln, und zwar 4, wurden erst im Jahre 1498 geschaffen; die Inhaber mußten anfänglich für 100, später für 400 und 600 livres das ganze Jahr hindurch lesen. Daß die Zahl von 4 Ordinarien genügte, ergibt sich aus der Tatsache, daß z. B. im Jahre 1394 nur 25 Hörer in die medizinischen Matrikel eingetragen waren.
Wissenschaftliche Forschung und hervorragende Lehrer sicherten der medizinischen Fakultät durch Jahrhunderte Ruf und Bedeutung in der ganzen Welt.

Der medizinische Unterricht in Montpellier

Von Dr. A. G. Chevalier

Die arabische Medizin, wie sie durch Vermittlung spanischer Flüchtlinge nach Südfrankreich gelangte und dort Fuß faßte, bildete jene spätere, von philosophischen und metaphysischen Deutungen und dialektischen Auslegungen durchsetzte Schule, die als "medizinische Scholastik" bezeichnet wird. Der Mensch ist zwar Mittelpunkt der medizinischen Forschung, aber ebenso wichtig wie das Objekt ist die Methode, die sich immer gleichbleibt, ob sie auf Philosophie, Religion oder auf das Studium des Menschen, bei Krankheit und Therapie angewendet wird. Während diese Anschauungen die Pariser Universitas beherrschten, wurden sie in Montpellier mit empirisch gewonnenem Wissen verbunden. Hier wurden die Fesseln der Scholastik gelockert; an keiner anderen Universität des hohen Mittelalters wurden Vorurteile so leicht überwunden wie in Montpellier, wenn es sich darum handelte, Wissenschaft und Unterricht neue Wege zu weisen.
Dies gilt vor allem für die praktischen Unterweisungen im medizinischen Unterricht des späten Mittelalters, doch kannte Montpellier auch eine Periode ausschließlich theoretischen Unterrichtes, als die Medizin noch in den Klöstern und in den konfessionellen Schulen der Juden und Araber erteilt wurde. Hier wurden die Hippokratischen Traditionen fortgeführt und die aus dem Urtext ins Arabische und Hebräische übersetzten Werke der Antike gelesen. Solange das Edikt Guilhems VIII. in Kraft war, scheint jedoch der Unterricht der Medizin undogmatisch und praktisch gewesen zu sein. Jeder in Montpellier niedergelassene Arzt durfte in seinem Hause nach freiem Ermessen Medizin lehren, die Schüler waren bei Konsultationen oder Krankenbesuchen anwesend.

Wenn auch später die scholastische Unterrichtsmethode alles beherrschte, so verschwand doch jene Ausbildung am Krankenbett nie mehr gänzlich aus dem Lehrplan. Sie wurde sogar durch päpstliche Bullen festgelegt, deren Erlaß den Ratschlägen großer Lehrer, wie Arnald von Villanova und Jean d'Allais, zu verdanken ist. Auch auf den gesamten Studienplan der medizinischen Fakultät, der durch die päpstliche Bulle von 1308 bestimmt wurde, wirkten diese Männer entscheidend ein.
Wie frühzeitig in Montpellier die Demonstrationen in den offiziellen Lehrplan aufgenommen wurden, ist schon daraus ersichtlich, daß hier bereits 1315 die erste öffentliche Sektion vorgenommen wurde, während erst anderthalb Jahrhunderte später von einer öffentlichen anatomischen Demonstration in Paris berichtet wird.
Gewiß war es auch in Montpellier nicht leicht, die Bedenken klerikaler und weltlicher Kreise zu zerstreuen, wenn es galt, die Machthaber der Stadt zur Anerkennung fortschrittlichen Geistes zu bewegen. "Ecclesia abhorret a sanguine", hieß es 1162 im Konzil von Tours, das den geistlichen Orden die Ausübung der Chirurgie verbot. Zur Sezierung von menschlichen Leichen aber war auch für Laien ein Dispens der Kirche nötig. Die Zähigkeit und Beharrlichkeit, mit der in Montpellier die Dispensgesuche vertreten wurden, führten meist zum gewünschten Ergebnis. So gab der Herzog von Anjou im Jahre 1376 der medizinischen Fakultät von Montpellier die Erlaubnis, jedes Jahr den Leichnam eines Hingerichteten zu sezieren.
Von diesem Zeitpunkt an begann in Montpellier ein regelmäßiger anatomischer Unterricht an der Leiche. Reichte eine Leiche jährlich nicht aus, so wußten die Studenten Rat. Um das nötige Material für die anatomischen Demonstrationen zu beschaffen, schlichen sie bei Nacht in die nahegelegenen Friedhöfe, gruben die Frischbeerdigten aus und trugen sie heimlich in die Schulräume. Diese Expeditionen gingen mit größter Vorsicht vonstatten, denn schwere Strafen trafen die dabei Ertappten. Die Sektionen aber waren öffentlich und bildeten ein gesuchtes Schauspiel nicht nur für die Hörer der Medizin, sondern auch für die verschiedenen Gesellschaftskreise der Stadt. Würdenträger und hohe Beamte, Damen der besseren Stände, ja selbst Geistliche waren das Publikum bei diesen Demonstrationen, die meist in größeren Sälen stattfanden.
Der theoretische Unterricht fand während des ganzen Mittelalters nicht in besonderen Hörsälen statt, sondern scheint hauptsächlich in den Privatwohnungen der Professoren erteilt worden zu sein, da die Fakultät noch nicht über ein eigenes Gebäude verfügte. Selbst Versammlungen und Festlichkeiten wurden in der Kirche Saint-Fermier, der zuständigen Pfarrkirche der Universität, abgehalten. Erst im 16. Jahrhundert wurde die Fakultät in einem alten Kloster untergebracht, Von 179 5 an im früheren bischöflichen Palais, das an die Kirche St. Pierre angeschlossen ist.
Die in der Bulle von Papst Clemens V. aus dem Jahre 1309 enthaltenen Bestimmungen schreiben die Zahl der Studienjahre genau vor. Sechs Jahre theoretischen Studiums und acht Monate praktischer Betätigung sind erforderlich, um den Studierenden zur Lizentiatenprüfung zuzulassen. Schon das Lizentiatendiplom gab die Berechtigung zur praktischen Ausübung der Medizin; schon der Bakkalaureus mußte beim Empfang seines Diploms schwören, daß er weder in Montpellier selbst, noch in der Umgebung praktizieren werde, ehe er Lizentiat geworden sei. Die Erlangung der Doktorwürde, nach mehrjährigem theoretischem und praktischem Studium, war mit besonders strengen, einige Tage dauernden Prüfungen verbunden; die Feierlichkeiten bei der Überreichung des Doktorhutes waren in Montpellier mit so viel zeremoniellem Prunk verbunden, daß sie Anlaß zu zahllosen, heute noch erhaltenen Schriften in Prosa und Gedichtform gaben.
Zu Beginn des Wintersemesters, am Tag des hl. Michael, wurde von jedem Professor das Buch gewählt, nach dem er seine Vorträge im laufenden Studienjahr halten wollte. Es wurde darauf geachtet, daß kein Professor seine Vorträge vor Ablauf von fünf Jahren wiederholte, keine Materie zweimal vortrug.


Eigenartig berührt es, daß bis zum Jahre 1484 die Professoren das Unterrichtsgeld direkt von ihren Schülern erhielten. Erst von diesem Jahre an wurde das Lehramt an der Fakultät eine offizielle Würde mit einem bestimmten Jahresgehalt, der ungefähr 2ooo Schweizer Franken heutigen Wertes entsprach. Die mittelalterlichen Vorschriften und Prüfungsprogramme blieben bis 1533 in Kraft. Ihnen entsprechend waren die Bücher des Galen, die Werke der orientalischen Ärzte Avicenna, Rhazes, Constantin und Isaac Judaeus die wichtigsten Prüfungsgegenstände. Die Kandidaten mußten die kommentierten Bücher der Techne des Galen, die Prognostiken, Aphorismen und das Buch der akuten Erkrankungen des Hippokrates argumentieren. Auch wurde der Isagog des arabischen Arztes Honein oder die Schrift "Über das Fieber" des jüdischen Arztes Isaac oder das Antidotarium des Rhazes herangezogen.
Das Dogmatische des theoretischen Unterrichtes wurde im allgemeinen erst gelockert, nachdem ihm die Renaissance neue Impulse zugeführt hatte. Zur überlieferten medizinischen Theorie tritt eine neue, freie Naturbeobachtung; neue Disziplinen, wie Anatomie und Botanik, werden in den offiziellen Lehrplan eingegliedert. Auch in den folgenden Jahrhunderten werden ständig neue Lehrstühle errichtet und so die Unterrichtsgebiete erheblich erweitert. Lapeyronie schafft im 17. Jahrhundert eine Lehrkanzel für Chirurgie und Pharmakologie, 1680 wird Chemie in den Studienplan aufgenommen und 35 Jahre später auch ein Lehrstuhl für dieses Fach geschaffen.


Entfernung eines Pfeils mit einer von Guy de Chauliac erfundenen Vorrichtung. Aus einer Chirurgia des 16. Jh. 


Diese Formen des medizinischen Unterrichts erhielten sich in Montpellier bis zur Revolution. Sie wurden 1792 durch das Gesetz, das alle Privilegien beseitigen sollte, ebenso wie an den anderen französischen Hochschulen aufgehoben.

Die Fürsorge der Obrigkeit scheint sich im Mittelalter nicht nur auf Studienordnungen, sondern auch auf das leibliche Wohl der Studenten erstreckt zu haben. Schon 1380 wurde durch eine päpstliche Bulle ein Internat für unbemittelte christliche Studierende, 50 Jahre später ein weltliches Kollegium zur Aufnahme armer Studenten ins Leben gerufen. Den übrigen Studenten wurde die Abgabe der hohen Lebensmittelsteuern erlassen, was besonders beim Wein eine gewisse Rolle spielen mochte, dessen Konsum bei den Studenten erheblich war.
Im übrigen hatte das studentische Leben in Montpellier nicht den strengen, mönchisch ernsten Charakter wie zum Beispiel das in Paris. Die leichte Lebensauffassung seiner Bewohner, das südliche Klima, Naturschönheit, Bodenreichtum und nicht zuletzt der Wein schufen unter den Studiengenossen, zwischen Lehrern und Schülern, frohe Geselligkeit und gutes Einvernehmen, die sich sogar auf die Universitätsführung übertrugen. Das war sicherlich mit ein Grund für den Ruf liberaler, fortschrittlicher Gesinnung, den Montpellier erlangte. So war die in ihren Anfängen von nichtchristlichen Kulturen beeinflußte Fakultät auch auf konfessionellem Gebiete toleranter als die Pariser Universität. Wohl wurde im Prinzip das Bekenntnis zur katholischen Religion als Voraussetzung für die Immatrikulierung gefordert, doch wurden Dispense leicht erteilt. In der Geschichte der Stadt finden wir z. B. den Einzug des evangelischen Felix Platter (1536-1614) aus Basel beschrieben, der zur Immatrikulation in die medizinische Fakultät hoch zu Roß erschienen war. Auch daß ein bedeutender Professor von Montpellier, Guillaume Rondelet (1507-1566) Führer der südfranzösischen Hugenotten sein konnte, ist bezeichnend. An keiner anderen französischen Universität hätte er damals trotz dem Edikt von Nantes einen selbständigen Lehrstuhl erhalten. (Montpellier war neben Nimes, Montauban, Usez, Castreseti eine der wichtigsten Hugenottenstädte.)
Zur Kurzweil von Lehrern und Schülern dienten die Schauspiele und Farcen, die von den Hörern der Medizin und der Rechte gemeinsam am Dreikönigstage unter freiem Himmel aufgeführt wurden, meist von ihnen selbst verfaßt waren und Zustände jener Zeit verspotteten. Nicht selten beteiligten sich die Professoren an diesen Aufführungen. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Hörern und Lehrern vertieften sich dadurch und das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Mitglieder der Fakultät wurde stärker.

Berühmte Lehrer der Medizin in Montpellier

Von Dr. A. G. Chevalier und Dr. John Gerlitt

Montpellier war jahrhundertelang, für die medizinische Forschung richtunggebend. Die medizinische Fakultät erweiterte den Unterricht, schuf neue Einrichtungen, um die gewonnenen Erkenntnisse systematisch zu erfassen und zu verbreiten. Viele ihrer Lehrer und Schüler verdienen Ruhmesblätter in der Geschichte der Medizin.
Zwei Glanzperioden zeichnen Montpellier aus. Die eine beginnt mit dem Verfall der Salernitaner Schule am Ende des 13. und reicht bis zum Ende des 14. Jahrhunderts; die zweite beginnt in der Hochrenaissance und dauert fast bis zum Ausbruch der französischen Revolution, ohne daß sie durch die Religionskriege beeinträchtigt worden wäre, deren territoriales Zentrum Montpellier zeitweilig gewesen war.
Aus der Frühzeit der Schule von Montpellier sind nur einige wenige Lehrer, und auch diese nur notdürftig, bekannt: ein Magister Cardinalis, der um 1240 Glossen zu den Aphorismen des Hippokrates verfaßte, der Kanzler der medizinischen Fakultät, Gillibertus (1250), der den Aegidius, einen Vertreter des salernitanischen Galenismus, sowie den Viaticus, einen Vertreter der früharabischen Medizin kommentierte; ferner wird noch ein Roger de Barone als Verfasser einiger medizinischer Werke genannt, ohne daß der Autor und seine angeblichen Schriften genauer zu identifizieren sind.
Die Glanzzeit der Schule von Montpellier beginnt aber erst mit dem Auftreten von Arnald von Villanova (1235/ 1240-1312), der etwa von 1289-1299 in Montpellier wirkte. Geboren in der Nähe von Valencia, hatte er sich eine umfassende philosophische, theologische und naturwissenschaftliche Bildung erworben; auf ausgedehnten Studien- und Konsultationsreisen nach Frankreich, Italien und Spanien sammelte er Erfahrungen und erweiterte sein ungewöhnliches medizinisches Wissen.
In zwei Werken, den "Parabeln der Heilkunst" und dem "Breviarium", legte er die Ergebnisse seiner Studien und die Fülle seiner Beobachtungen nieder; das "Breviarium practicae" ist mit den zahlreichen Krankengeschichten und therapeutischen Erörterungen eine der bemerkenswertesten mittelalterlichen Darstellungen der Pathologie und Therapie. Die "Parabeln ", die in einer vorzüglich kommentierten Übersetzung von Paul Diepgen vorliegen, zeigen Villanova als einen universell unterrichteten Mediziner, dem es auf die Erfassung des Wesentlichen in der Heilkunst ankam; auf Grund reicher Erfahrung bekannte er sich zu einer Therapie in hippokratischem Sinne, stellte das Individualisieren bei der Behandlung in den Vordergrund und empfahl vor allem schonende, vorsichtige Kuren. - Seine in den "Parabeln " enthaltenen Lehren sind in Form einer Unterredung zwischen Lehrer und Schüler dargestellt; durch sie erhält man auch eine ungefähre Vorstellung vom mittelalterlichen Unterricht.
Villanova hatte auf seine Zeitgenossen eine außerordentliche Wirkung, wenn man auch dem Neuen, das in seinen Werken niedergelegt war, keineswegs immer mit dem nötigen Verständnis zu folgen vermochte. In seiner späteren Lebenszeit, etwa um 1299, betätigte er sich politisch und theologisch und beschwor damit Konflikte herauf, die seiner Anerkennung als ärztlicher Reformator wenigstens zunächst Abbruch tat. Nichtsdestoweniger ist er eine der markantesten Persönlichkeiten der Schule von Montpellier. (Von seinen Werken, die gesammelt zuerst 1520 in Lyon erschienen, kam 1585 eine Ausgabe in Basel heraus.)

Nächst Villanova war einer der prominentesten Lehrer in Montpellier (etwa von 1282 bis 1318) Bernard Gordon, der seit 1294 publizistisch äußerst fruchtbar war; er veröffentlichte Studien über Fieberdiät, Prognostik, allgemeine Therapie, über die Lehre vom Blut, über die Erhaltung der Gesundheit. Am nachhaltigsten wirkte er durch sein Handbuch der inneren Medizin "Lilium medicinae " (1498 und 1574), das neben dem "Breviarium" von Villanova zu den medizinischen Standardwerken des Mittelalters gehört.
Auch die Chirurgie war in Montpellier schon frühzeitig glänzend vertreten: Henry de Mondeville (Hermondeville) lehrte um 1304 Chirurgie und Anatomie, und er muß als erster bedeutender Chirurg Frankreichs angesehen werden; nächst ihm hat Guy de Chauliar als Chirurg in Montpellier die größte Rolle gespielt. - Mondeville (gest. in Paris 1317 oder 1320 oder nach 1325) legte in einem unvollendet gebliebenen Handbuch der Chirurgie seine große eigene Erfahrung nieder; sein besonderes Verdienst ist, daß er eine verbesserte Wundbehandlung lehrte. Er nennt das für die damalige Zeit originelle Verfahren der primären Wundheilung seine neue Methode "modus novus noster", und er bildet sie bis in alle Einzelheiten aus: er macht genaue Angaben über Blutstillung, Fremdkörperentfernung und den Gebrauch des Weinverbandes. - In diesem Werk zitiert er häufig Hippokrates, Galen, Avicenna, Rhazes und andere damals maßgebende Autoren, ein Beweis, wie sehr er in der medizinischen Literatur bewandert war. Auch illustrierte er seine "Cyrurgia" mit anatomischen Bildern, wodurch sie an Brauchbarkeit erheblich gewann. 

Anatomische Darstellung aus der Chirurgie des Henry de Mondeville 
um 1314. Nationalbibliothek, Paris.

Überhaupt war Mondeville ein Mann der Praxis: er gab einen besonderen Nadelhalter an, ferner ein Extraktionsinstrument für Pfeile und erwähnt die Entfernung von Geschossen mit Hilfe des Magneten. – Wenn auch von dem großangelegten Werk nur Bruchstücke erhalten sind, so genügen diese doch, um Mondeville als Bahnbrecher auf dem Gebiet der mittelalterlichen Medizin zu kennzeichnen; auch war er nicht nur einseitig chirurgisch bewandert, wie aus seinen Bemerkungen über ärztliche Pflichtenlehre, medikamentöse Behandlung usw. ersichtlich ist. Weit nachhaltiger wirkte der aus der Schule von Montpellier hervorgegangene und später dort lehrende chirurgische Schriftsteller Guy de Chauliac (geb. um 1300, gest. zwischen 1367 bis 1370), Obwohl er offenbar nicht selbst operative Tätigkeit ausübte, verkörperte und beherrschte er mit seinem großen Werke "Collectorium cyrurgie" (1363) im Grunde die französische Chirurgie bis in die Zeit, da Ambroise Paré (1510/ 1517-1590) auftrat. Das Werk wurde in 9 Sprachen übersetzt; seine Bedeutung liegt darin, daß es der Niederschlag langjähriger eigener Erfahrung ist und außerdem in allergrößtem Umfange die gesamte wesentliche abendländische und morgenländische chirurgische Literatur berücksichtigt: es finden sich in dem Werk, das auch unter dem Namen "Die große Chirurgie" bekannt ist, mehr als 3000 Zitate aus Hippokrates, Galen, Avicenna, Abulkasim, Lanfranchi u.v.a. Man darf das ständige Zurückgreifen auf die Literatur, die Guy de Chauliac übrigens kritisch verwertet, insofern nicht geringschätzen, als damals an den medizinischen Schulen ausschließlich in Anlehnung an Autoritäten unterrichtet wurde; nur in bescheidenem Umfange war ein Anschauungsunterricht möglich, und er wurde auch immer nur neben der Interpretation der medizinischen Klassiker betrieben.

Chauliac verfaßte auch Schriften über Hernien, den Star usw., aber daneben, und das ist bezeichnend für die Geistesrichtung und andererseits auch für die Universalität damaliger Gelehrter, ein Buch über Astrologie. Als Chirurg beschäftigte er sich mit der Trepanation, war ein Gegner der Amputation, befürwortete das Abwarten der Selbstablösung bei Gangrän, empfahl bei Frakturen die Extensionsbehandlung, gab eine Quecksilberbehandlung bei Geschwüren an, riet, das Karzinom mit dem Glüheisen und sublimiertem Arsenik zu behandeln, und erwähnte die Wendung bei unzweckmäßiger Kindeslage. Chauliac hatte, abgesehen von dem weitreichenden Einfluß auf die gesamte nachfolgende Chirurgie, eine ganze Reihe unmittelbarer, namhafter Schüler, darunter in erster Reihe die Bologneser Pietro Argellata (gest. 1423) und Giovanni d'Arcole (gest.1458).
Neben diesen drei glänzendsten Vertretern der älteren Medizinschule von Montpellier wirkten dort auch noch eine ganze Reihe von Medizinern, die mit dazu beitrugen, daß Montpellier auf die Scholaren der ganzen Welt eine starke Anziehungskraft ausübte.
Eine der frühesten Autoritäten Montpelliers war Armengaldus Blasii (1280-1303), der mit Hilfe des Juden Profatius aus Marseille arabische und hebräische Medizinschriften übersetzte. - Mehr ist von dem nachmaligen Kanzler der Universität Montpellier, dem nicht unbedeutenden Guillaume Rondelet (1507-1566), bekannt; er stammte aus Montpellier und wurde dort nach gründlicher Ausbildung in Anatomie und ausgedehnten Studienreisen im Jahre 1537 promoviert. Er machte sich um die Hebung des wissenschaftlichen Lebens in Montpellier verdient, insbesondere dadurch, daß er 1556 ein anatomisches Theater bauen ließ; damit wurde, wenn auch immer noch in bescheidenem Umfange, der anatomische Unterricht gefördert, denn bis dahin durfte laut einer Verfügung aus dem Jahre 1376 jährlich nur einmal die Leiche eines Hingerichteten seziert werden. Um so bemerkenswerter ist die Tatsache, daß Rondelet in diesem Theater nach der Geburt seiner Zwillingssöhne die Plazenta zeigte und den Leichnam eines seiner Kinder sezierte, was bei vielen Anstoß erregte. Rondelet verfaßte Schriften über Arzneimittel und Therapie; daneben beschäftigte er sich eingehend mit Ichthyologie.
Bedeutender als Rondelet war sein Schüler und Nachfolger als Kanzler der Universität Laurent Joubert (1529-1582),
der nach dem Besuch vieler anderer Hochschulen im Jahre 1558 in Montpellier promovierte. Joubert, der Leibarzt Katharinas von Medici war, gehörte zu den damals nicht sehr zahlreichen Gegnern der galenischen Lehren; insbesondere polemisierte er gegen die Fiebertheorie Galens in einer 1566 verfaßten Schrift über das Fieber. Von seinen sonstigen Schriften ist eine über die Pest (1567) beachtenswert und eine Darstellung seiner Erfahrungen, die er als Armeechirurg, zu dem er 1569 ernannt worden war, gewonnen hatte. Er war somit auch der berufene Herausgeber von Chauliacs "Chirurgie". Einen außerordentlich großen Erfolg hatte er mit seiner Schrift "Erreurs populaires", worin er sich gegen die Irrwege der scholastischen Medizin wandte. Seine Darstellungskunst fand eine für einen Fachgelehrten nicht alltägliche Anerkennung: Albrecht von Haller verglich seine Schreibart mit der des Boccaccio.

Gleichzeitig zwei Fächer, nämlich Anatomie und Botanik, vertrat Pierre Richer de Belleval (1558-1623); im Winter las er Anatomie und im Sommer Botanik. Er ist als Begründer der wissenschaftlichen Botanik in Frankreich anzusehen; von ihm rührt eine Nomenklatur der Pflanzenwelt her, durch die er jeder Pflanze einen zusammengesetzten griechischen Namen gab.
Als erster führte Lazarus Rivière (1589 bis 1655) in Montpellier die spagirische, paracelsistisch-spezifische Heilmethode mit Anwendung metallischer Mittel ein.
Im Jahre 1687 übernahm Pierre Chirac (1650-1732) den Lehrstuhl für Medizin in Montpellier. Daneben war er an verschiedenen Orten als Militärarzt tätig. Die Frucht seiner Beobachtungen war eine Schrift über Wundheilung; außerdem beschäftigten ihn Herz- und Gefäßleiden. Bemerkenswert ist, daß Chirac experimentelle Pathologie trieb: er studierte experimentell den Brechakt sowie die künstliche Respiration an enthirnten Tieren. - Vergeblich versuchte er in Montpellier einige organisatorische Neuerungen einzuführen, er wollte eine medizinische Akademie gründen und die Trennung von Medizin und Chirurgie aufheben. - Zu seinem Nachfolger wurde Francois Chicoyneau (1672-1752) ernannt, der sich um die Bekämpfung der Pest in Marseille im Jahre 1720 verdient gemacht und darüber mehrfach berichtet hatte.

 

Die Summe des Einzelwissens und die Fülle von Beobachtungen, die durch die Arbeiten der verschiedenen Mediziner in Montpellier zusammengetragen wurden, weckten verständlicherweise das Verlangen nach einer systematischen Zusammenfassung zu einer medizinisch-naturwissenschaftlichen Theorie. Sie ergab sich im Grunde zwanglos, als in Montpellier hippokratische Auffassungen wenigstens ganz allgemein vorherrschten; diese kombinierte man mit der Lehre vom Animismus, der ja der antiken Physiokratie wesensverwandt ist, und so kam es zu einer Weiterbildung des Hippokratismus, wie ihn Sydenham (1624-1689) vertrat. Der Schöpfer dieses modifizierten Animismus war Francois Boissier Sauvages de Lacroix (1706 - 1767), der seit 1732 als Professor in Montpellier wirkte. Das Werk, in dem er seine Lehre niederlegte, die " Nosologia methodica " (Lyon 1760/1762) wurde epochemachend, wenn er auch infolge einer etwas gezwungen erscheinenden Klassifizierung der Krankheiten - in Anlehnung an Linnée´s Pflanzensystem - seine Lehre komplizierte und das Verständnis dafür erschwerte. Im übrigen war die Theorie für ihn von sekundärer Bedeutung; er versuchte mit ihr nur Beobachtungen zu erklären.
In den Vordergrund gestellt und als Ausgangspunkt für die Krankheits-Betrachtung genommen wurde diese Lehre hingegen von dem aus der Schule von Montpellier hervorgegangenen Theophil de Bordeu (1722-1776), der damit der Begründer des Vitalismus wurde. Diese Lehre von der dem lebenden Organismus innewohnenden Kraft einem beseelenden Prinzip, de La nature", wie Bordeu sich ausdrückte, stand in schroffstem Gegensatz zu der Iatrochemie, Chemie, Physik, Anatomie usw., Gebiete, die Bordeu souverän beherrschte, gaben seiner Meinung nach allein keine befriedigende Grundlage für die Pathologie.
Wieder war es ein Vertreter der Schule von Montpellier, der auf diesem neuen Wege bahnbrechend voranging: der ebenda geborene Paul Joseph Barthez (1734-1806) entwickelte in seinem Werke "Nouveaux éléments de la science de l'homme" (Montpellier 1778) die Lehre vom Vitalismus wie er sie unter dem Einfluß der Philosophie von Condillac (1715-1780) ausgebildet hatte. Barthez sah als letzten Grund aller Vorgänge im Organismus das "vitale Prinzip", dessen Wesen unbekannt und unergründbar sei; es sei auch verschieden vom denkenden Geist, jedoch mit Bewegung und Sensibilität begabt. Krankheit ist nach Auffassung von Barthez eine Affektion der Lebenskraft und äußert sich verschieden je nach den einzelnen Funktionen (Sensibilität, Motilität usw.). Im allgemeinen war Barthez für Unterstützung und Regelung des natürlichen Heilbestrebens.
Auch Barthez erhielt 1864 in Montpellier ein Denkmal.

Ein Fortschritt, der sich in ungeahnter Weise in der Zukunft auswirken sollte, wurde durch den seit 1812 in Montpellier amtierenden Professor der Chirurgie Jacques Delpech (1772-1832) angebahnt: in seinem zweibändigen Werk "De l'orthornorphie" (1828/1829) begründet er die moderne Orthopädie; bereits im Jahre 1816 hatte er die Tenotomie der Achillessehne ausgeführt, ferner beschäftigte er sich mit plastischer Chirurgie und wies die tuberkulöse Natur der Pottschen Krankheit nach. Er gab eine "Chirurgie clinique de Montpellier" (Paris 1823-1828) heraus. Delpech wurde von einem Patienten erschossen, bei dem er eine Varicocele operiert hatte, ein Eingriff, der wohl zur Impotenz geführt hatte.
Mit Delpech schließt die Glanzperiode der medizinischen Schule, wenigstens soweit es sich um das Lehrerkollegium handelt, im wesentlichen ab. Aber die Keime, die hier von großen Ärzten gelegt wurden, trugen auf Jahrhunderte hindurch Früchte, insofern als aus der Medizinschule von Montpellier einige der bedeutendsten Mediziner hervorgingen.

So zog in Montpellier als Fünfzehnjähriger der nachmals berühmte Arzt Felix Platter aus Basel (1536-1614) ein. Hier studierte auch Jean Rey (1583-1645?) von 1506 bis 1509 Medizin. Mit einem wichtigen Werk, seinen Essays sur la recherche de la cause, pour laquelle l'estain et le plomb augmentent le poids quand on les calcine" (Bazas 1630), nahm er im wesentlichen schon die Gedanken vorweg, die später Lavoisier in seiner Lehre von der Verbrennung formulierte.
In Montpellier entdeckte der Medizinstudenten Pecquet (1622-1674) im Jahre 1647 den ductus thoracicus beim Hunde und wies in der vena cava superior den Chylussaft nach, ohne ihn allerdings richtig deuten zu können.
Raymond de Vieussens (1641-1716) in Montpellier wurde der Begründer der Lehre von den Herzleiden und legte in seinem "Traité nouveau de la structure et des causes du mouvement naturel du coeur" die Pathologie des Herzens dar; nach ihm wurde die Aorteninsuffizienz als Vieussenssche Krankheit, die ansa Vieussenii und der Isthmus Vieussenii benannt (wie übrigens auch der Name von Pecquet erhalten blieb in der Benennung Canalls Pecqueti.

Wohl die berühmtesten Schüler von Montpellier waren Thomas Sydenham (1624 bis 1689), der vor seiner endgültigen Übersiedlung nach England in Montpellier Vorlesungen hörte, und Giorgio Baglivi (1668-1707), einer der Hauptvertreter der latrophysik und der Begründer der allgemeinen Pathologie, Marie Francois Xavier Bichat (1771-1802).

Der "Antimonkrieg" ein Streit der Fakultäten
Montpellier und Paris

Von Dr. A. G. Chevalier

Das gute Einvernehmen unter den Angehörigen des Ärztestandes konnte keineswegs verhindern, daß die Gelehrten ihre Forschungsergebnisse mit leidenschaftlicher Heftigkeit verfochten. Waren die Professoren von Montpellier auch geneigt, sich Neuerungen gegenüber nicht dogmatisch, sondern rein kritisch zu verhalten, so findet man doch auch in Montpellier gelegentlich ein Festhalten an Doktrinen, selbst wenn sie sich in der Folge als Irrtum erwiesen. Auch hier gab es Fälle, wo das Gelehrtenprestige höher gewertet wurde als wissenschaftliche Wahrheit.
Die heftige Polemik die über die Ansteckungsgefahr bei epidemischen Krankheiten anläßlich der Pest in Marseille von 1720 unter den Professoren von Montpellier ausbrach, mag als Beispiel dienen. Die Professoren Pierre Chirac, Francois Chicoyneau und ein praktischer Arzt in Marseille waren die Urheber dieser Auseinandersetzungen, die mit kurzen Unterbrechungen bis ins 19. Jahrhundert dauerten.

Bei Ausbruch der Pest wollte die Universität von Montpellier der schwer heimgesuchten Bevölkerung von Marseille Hilfe bringen. Pierre Chirac, damals Kanzler der Fakultät, forderte seine Kollegen zu freiwilligem Pflegedienst auf, und zwar mit einem energischen Hinweis auf die Unübertragbarkeit der Pest. Anfänglich lehnte man seine Aufforderung ab, ärgerlich und aufgebracht über diese Behauptung, die allen bisherigen Erfahrungen widersprach. Erst als Chicoyneau und seine Gehilfen Deidier und Verny unter ausdrücklicher Berufung auf die Unübertragbarkeit der Pest sich zum Dienst in Marseille bereit erklärten, begann jene heftige Polemik, die sich bei jeder neu auftretenden Epidemie wiederholte, und die gelegentlich selbst zur Anrufung der ordentlichen Gerichte führte.
Leidenschaftlicher aber war der Streit, der im 17. Jahrhundert die beiden größten medizinischen Fakultäten Frankreichs, Montpellier und Paris, als unversöhnliche Feinde einander gegenüberstellte.
Einmal hatte Paris das Recht, nur an der dortigen Universität graduierte Mediziner zur Praxis zuzulassen; es mehrten sich aber die Fälle, daß Promovierte aus Montpellier in Paris sich niederließen. Zum andern hielt die Pariser Schule am Galenismus fest, während man in Montpellier zur latrochemie neigte. So hatte man in Montpellier seit Arnald von Villanova chemische Arzneimittel in den Heilschatz aufgenommen, während sich die Pariser Fakultät ablehnend verhielt. Sie wollte ihre geistige Unabhängigkeit und die Einhaltung ihrer wissenschaftlichen Vorschriften wahren. Während die Forschung in Montpellier, frei von Vorurteilen, mit einer großzügigen experimentellen Methodik gepaart war, zeigte sich die Pariser Fakultät traditionsbeflissen, fortschrittsfeindlich, intolerant und dogmenbeschwert. Sie übte strenge Disziplinargewalt über ihre Mitglieder aus und verfolgte jeden mit scholastischem Starrsinn, der es wagte, ihre Kreise zu stören.
War es daher verwunderlich, daß ein Streit entbrannte, wie er heftiger und hartnäckiger wohl nie von einer wissenschaftlichen Körperschaft geführt wurde, der um so leidenschaftlicher war, als gerade die gefürchtetste Rivalin, Montpellier, es wagte, ihre eigenen Privilegien und ihre eigenen Doktrinen im Hoheitsgebiet der Gegnerin geltend zu machen ?
Es handelte sich dabei um den sogenannten "Antimonkrieg", der von 1566 bis 1666 die Professoren von Montpellier und Paris, ja die ganze medizinische Welt jener Zeit aufrührte. Der Streit hatte einen wissenschaftlichen und einen juristischen Beweggrund. Er besaß eine burleske Seite: die hadernden Ärzte, und eine tragische: die Kranken als Opfer des Streites.


Die wissenschaftlichen Gründe, welche die Pariser Fakultät bewogen, den Gebrauch des Antimons, ja aller chemischen Mittel von der Verabreichung auszuschließen, waren, wie Guy Patin (1601-1672), der Dekan der Pariser Fakultät, 1646 vor Gericht erklärte, "durch Vorsicht gekennzeichnet". Das von den Ärzten verschriebene Antimon, das übrigens schon im 15. Jahrhundert gelegentlich als Heilmittel benutzt worden war, war oft nicht rein, sondern mit Arsen vermengt, eine genaue Dosierung war nicht möglich, Gegenmittel waren noch nicht bekannt, und die Todesopfer dieses Medikamentes scheinbar zahlreich. Die Pariser Fakultät stellte Vorsicht und überempfindliches Berufsgewissen ihrer Mitglieder als Gründe für die Ablehnung hin, und Guy Patin selbst wies in seiner "Martyrologie de l'Antimoine" die Schädlichkeit des Antimons eingehend nach.
Diese Ablehnung wäre aber sicherlich nie so heftig gewesen und kaum unter so gehässiger Form vor sich gegangen, wenn nicht gerade die Doktoren von Montpellier erklärt hätten, daß sie mit der Verabreichung von chemischen Mitteln, vor allem des Antimon enthaltenden Brechweines (vinum stibiatum), sehr gute Heilerfolge erzielten, wenn nicht gerade ein Arzt aus Montpellier, Theophrast Renaudot (15 86-1633), es gewagt hätte, in Paris eine Armenklinik zu errichten, und wenn nicht die von Montpellier geltend gemachten Privilegien die Pariser Rechte geschmälert hätten!
Der Antimonkrieg bedeutete galvanische gegen chemische Medizin, Paris gegen Montpellier, bedeutete Guy Patin gegen Renaudot und seinen Sohn Eusèbe (gest. 1679). Denn die Pariser Fakultät bekämpfte nicht nur ein Mittel, das sie für schädlich hielt, was ihr gutes Recht, ja ihre Pflicht gewesen wäre, sondern sie stellte die Unfehlbarkeit einer Doktrin auf, die sie selbstherrlich den Medizinern der ganzen Welt aufzwingen wollte.
Souverän herrschte die Fakultät von Paris über alles, was die Heilkunst jener Zeit betraf. Der Arzt durfte nur verschreiben, der Apotheker nur zubereiten und verkaufen, was die Zustimmung der Pariser Schule hatte. Wenn ein dozierender Arzt eine wissenschaftliche Anschauung schriftlich niederlegte, so mußte sie vom Dekan begutachtet werden und den Vermerk enthalten, daß alles Geschriebene mit den klassischen Lehren des Hippokrates und des Galen übereinstimme. Nur Anschauungen, die sich im Rahmen der traditionellen Lehren bewegten, wurden anerkannt.

Das Antimon war in Montpellier schon seit langem als Heilmittel eingeführt worden. Erst nachdem sich das Ausland insbesondere auch Paracelsus (1493-1541), der das von ihm benutzte Antimonoxychlorid als "mercurius vitae" bezeichnete, für das Antimon als Heilmittel eingesetzt hatte, fand es auch in Paris Anhänger. Da man der Überzeugung war, daß das Antimon Gold reinige und Unreinheiten aus den Erzen entferne, erhoffte man von ihm die gleiche Wirkung auf den menschlichen Körper. Der dänische Arzt Peter Severin Verfasser eines oft aufgelegten Werkes "Idea medicinae" (Basel, 1571), faßte die Wirkung des Antimons in drei Worte zusammen: vomere, cacare, sudare. Die ärztlichen Befürworter waren der Ansicht, daß durch diese dreifache Wirkung jede Krankheit eingedämmt werden könne.
Im Jahre 1564 schrieb ein Arzt aus La Rochelle, namens Loys de l'Aumav, unter dem Titel "Des facultés et vertus admirables de lántimone avec réponse a certaines calomnies" ein Loblied auf die wunderbaren und göttlichen Eigenschaften des Antimons. Der Pariser Arzt Jacques Grévin antwortete mit einer Gegenschrift, die mehr den Autor angriff als das Mittel. Daraufhin mengten sich Fakultät und Parlament von Paris offiziell in den Streit ein und erklärten das Antimon für ein Gift, das aus dem Körper niemals entfernt werden könne, so daß seine Verabreichung stets mit Lebensgefahr verbunden sei.
Das betreffende Dekret trägt die Jahreszahl 1566. Es eröffnet die Fehde. Nun wird Montpellier in den Streit mit hineingezogen, und zwar durch Theodore Turquet de Mayerne aus Genf (1573-1655), Leibarzt Ludwigs XIII. von Frankreich und Jakobs 1. von England, hier wie dort gleich berühmt. Aber der Pariser Fakultät war er ein Dorn im Auge, denn er war Doktor von Montpellier, hielt für Chirurgen und Apotheker öffentliche Vorträge, ohne die Fakultät um Genehmigung zu ersuchen, und verschrieb chemische Arzneimittel. Auf eine ihn beleidigende Schmähschrift antwortet er im Jahre 1603 unter einem Pseudonym mit einer Apologia und greift die Fakultät von Paris an. Diese antwortet noch im selben Jahre durch ein Dekret und erklärt das Werk Turquets de Mayerne als von einem Ignoranten geschrieben, der sich ständig besaufe und so verrückt sei, daß er in eine Zwangsjacke gehöre. Turquet wird für unwürdig befunden, die ärztliche Kunst auszuüben. 1615 verbietet die Fakultät den Apothekern bei Strafandrohung jeglichen Vertrieb von Antimon.
Einige Jahre hindurch rückte die Antimonfrage etwas in den Hintergrund. Dann, um 1630, erlaubt sich wieder ein Angehöriger der verhaßten Fakultät von Montpellier, ihre Doktrinen in Paris praktisch anzuwenden. Der geniale Theophrast Renaudot (1586-1633), Doktor von Montpellier, der sich auch außerhalb der Medizin auf verschiedenen Gebieten erfolgreich betätigte, hatte Gratiskonsultationen für Arme eingerichtet und als Mitarbeiter Kollegen aus Montpellier angenommen. Auf Grund ihres alten, von den Päpsten anerkannten Rechtes, waren Ärzte von Montpellier berechtigt, die Heilkunde urbi et orbi auszuüben. Aber die über ihre Vorrechte eifrig wachenden Pariser Doktoren begannen plötzlich, den Ärzten von Montpellier dieses Recht streitig zu machen. Das von diesen trotz Fakultätsverbot verabreichte Antimon sowie andere chemische Heilmittel bildeten den äußeren Anstoß, gegen sie einzuschreiten.
Der bedeutende Anatom Jean Riolan d. j. (1580-1657), Professor an der Pariser Fakultät, vertrat energisch die traditionellen Lehren und zeigte - obwohl er der erste Anatomielehrer war, der während seiner Vorträge selbst sezierte - eine Abneigung gegen jede fortschrittliche Tendenz in der Medizin. Die von Renaudot in seiner Armenklinik vertretene freie Richtung erfüllte Riolan mit Erbitterung. Mag auch Berufsneid das treibende Motiv gewesen sein, die zur Schau gestellte Empörung richtete sich gegen die Anwendung des Antimons im 1 Hoheitsgebiete der Pariser Fakultät. Riolan erließ in einer Streitschrift: "Curieuses recherches sur les escholes es de Paris er de Montpellier" ( 1651 in Paris erschienen), einen flammenden Aufruf an seine Kollegen und forderte sie darin auf, ihren ganzen Mut und ihre ganze Energie aufzubieten, um die "Missbräuche und Morde" zu verhindern, die täglich in Paris durch die Verabreichung des antimonhaltigen Brechweins geschähen.
Guy Patin, der Dekan der Fakultät, hatte schon 1647 einen Prozess gegen die Apotheker geführt, die Brechwein verkauften. Er gewann den Prozeß, in dessen Verlauf er nicht verabsäumt hatte, dem Gericht ein Gutachten über das "teuflische Medikament" vorzulesen. Dieses Mittel, so heißt es darin, sei nicht dazu bestimmt, dem kranken Körper Erleichterung zu verschaffen, sondern ihn zu töten Während des ganzen Antimonkrieges wurde die Verwendung des Antimons durch die Fakultät zwar verurteilt, trotzdem wurde es unerklärlicherweise als Heilmittel im offiziellen Kodex eingetragen, den man durch eine Fakultätskommission im Verlaufe von 15 Jahren ausgearbeitet hatte.
Eusèbe Renaudot, der Sohn des Theophrast, berichtet, daß das Antimon durch Mehrheitsbeschluß in den Kodex aufgenommen worden sei. Er, der trotz ordnungsgemäß hier absolvierter Studien jahrzehntelang um seine Aufnahme in das medizinische Kollegium von Paris hatte kämpfen müssen - man wollte in ihm seinen Vater treffen - setzte sich besonders für die offizielle Anerkennung des Antimons ein.
Gegen Theophrast Renaudot und die ihn unterstützenden Ärzte wurde gleichfalls prozessiert Die Fakultät von Montpellier stellte sich an ihre Seite und deckte sie mit ihrer Autorität. Es entspann sich nun über den wissenschaftlichen Vorrang der beiden Fakultäten ein erbitterter Kampf, der schließlich unentschieden blieb.

Wenn auch den Ärzten von Montpellier prinzipiell die Ausübung der Praxis in Paris verboten wurde, so gab es immer zumindest einen Leibarzt des Königs oder einige Hofärzte, die aus der Schule von Montpellier kamen und infolge ihrer Stellung am Hofe das Vorrecht genossen, in Paris ihre Praxis auszuüben. So hatten u. a. Vaultier (geb. 1590), Vallot (1594-1671), Antoine d'Aquin (geb.1620), Leibärzte Ludwigs XIV., in Montpellier studiert. Theophrast Renaudot stand noch unter dem besonderen Schutze Richelieus, und der ihn verfolgende Haß der Fakultät zerschellte an der Macht seines hohen Gönners. Erst nach dessen Tode konnte Renaudot seinen Feinden nicht mehr standhalten; seine Armenklinik ging langsam ein.

Neue Prozesse für und gegen das Antimon beschäftigten Fakultäten und Gerichte. Es schien nun, als würde die unnachgiebige, rachsüchtige Pariser Fakultät durch ihr zähes Festhalten am Verbot chemischer Heilmittel schließlich triumphieren. Wohl gab es bereits einige Professoren, die dem Antimon die Heilwirkung nicht mehr gänzlich absprachen, aber ihr Einfluß reichte nicht aus, uni die an leitenden Stellen befindlichen Kollegen umzustimmen. Und der Streit würde wohl ein Jahrhundert überdauert haben, hätte die Vorsehung nicht eingegriffen.
Ludwig XIV. erkrankte während eines Feldzuges in Flandern, im Jahre 1658, an typhösem Fieber im Krankenjournal heißt es: fièvre pourprée et très maligne Die Kunst der ihn umgebenden Ärzte schien zu versagen Da liess man einen Landarzt von Abbeville nach Calais kommen wohin der König gebracht worden war. Dieser Doktor Du Saussoy war unbeschwert von Pariser Doktrinen, er schien nur ein Allheilmittel zu kennen das Purgieren. Die Krankheit des Königs war hartnäckig, starke Dosen mußten verabreicht werden. Zweiundzwanzigmal wurde purgiert mit Arzneien, die eine Unze Antimon enthielten Was die üblichen Medikamente nicht erzielt hatten, erreichte der Landarzt durch das Antimon. Der König wurde geheilt. - Guy Patin benutzte den Mißerfolg des königlichen Leibarztes Dr. Vallot, der aus der Schule von Montpellier stammte zu dem Bonmot "Quidquid delirant medici, plectuntur principes", indem er einen oft zitierten Vers von Horaz variierte.
Die Pariser Fakultät ist fassungslos. Ein Jubel aber erhebt sich bei den Vertretern der Antimonthese, verbreitet sich im Volk, das gerne die Gelegenheit ergreift, um den unbeliebten und unnahbaren Professoren der Fakultät die Aureole der Unfehlbarkeit zu nehmen und sie öffentlich zu verspotten. Triumphzüge für das Antimon werden veranstaltet, und bei jeder Gelegenheit wird die Fakultät lächerlich gemacht.
Auch Montpellier triumphiert. Da die Anwendung des Antimons durch Gerichtsbeschluß verboten worden war, wurde auch seine offizielle Rehabilitierung gefordert. Im Dezember 1665 wurde eine entsprechende Eingabe an den Gerichtshof gemacht. Trotz neuerlicher Opposition einiger Professoren wurde dieses Gesuch dem Plenum der Universitätsprofessoren vorgelegt. Von 102 Professoren sind nur io10 dagegen. Im Jahre 1006 spricht sich der Gerichtshof für die offizielle Zulassung des Antimons zu Heilzwecken aus und verfügt, daß dieses Urteil neben das Dekret eingetragen werde, welches seinerzeit das Antimon verboten hatte. Mit diesem Spruch endete der Streit der Fakultäten, der durch Heftigkeit und durch persönliche Angriffe weit über die Grenzen wissenschaftlicher Polemik hinausgegangen war und dem Ansehen des ärztlichen Standes sehr geschadet hatte
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Rabelais in Montpellier

Als Francois Rabelais im (Gewand eines Weltpriesters am 17. September 1530 in Montpellier immatrikuliert wurde, war er kein Jüngling mehr; er wurde im Jahre 1490 - nach Ansicht seiner modernen Biographen im Jahre 1483 - geboren; fünfzehn Jahre Klosterlebens lagen hinter ihm während der er seinen Wissensdurst gestillt hatte. Griechisch, Latein, Hebräisch und die neueren Sprachen Astronomie, Astrologie, Mathematik, Jurisprudenz und auch die zeitgenössische Literatur hatte er schon studiert, als er, besonders durch die Naturwissenschaften angezogen sich zum Studium der Medizin und entschloß. Der junge Mönch des Franziskanerklosters Fontenay-le-Comte in der Vendée hatte nach Empfang der Priesterweihen, die Einnahmen aus seinen Predigten zum Ankauf von Büchern verwendet. Sein Verhältnis zu den anderen Klosterbrüdern, bei denen das Studium des Griechischen als der Muttersprache der orientalischen Kirche in den Ruf der Ketzerei brachte, war so getrübt, daß er seinen Austritt aus dem Kloster beschloß. Mit päpstlicher Erlaubnis trat er 1521 zu den Benediktinern über. Nachdem er verschiedene französische Universitäten bezogen hatte und unter anderm zwei Jahre in Paris Inskribiert gewesen war, ging er nach Montpellier, dessen berühmte medizinische Fakultät ihn anzog. In den Universitätsmatrikeln findet man eine handschriftliche Bestätigung des Kanzlers der Universität Montpellier Guillaume Rondelets (1507-1566), über den Empfang eines Goldtalers für die Immatrikulation von Francois Rabelais.
Rabelais soll so berichtet einer seiner Studienkollegen am Tage, an dem er sich zum erstenmal in die Fakultät begab, einer Disputation über die Heilkraft der Pflanzen beigewohnt und dabei ungeduldige Zeichen des Besserwissens gegeben haben. Auf Einladung des Dekans habe er dann die Materie so meisterhaft behandelt daß ihm das ganze seine Anerkennung lebhaft bezeugte ja ihn des Doktorates für würdig erklärte. Angeblich soll ihn diese Ovation den Grad des Bakkalaureus eingebracht haben, der ihm aber offiziell erst am 1. Dezember desselben Jahres verliehen wurde.
Als Bewerber um die Lizenz hatte er drei Monate lang Vorlesungen zu halten. Vor einer zahlreichen Zuhörerschaft sprach er über die "Ars parva" des Galen und über die "Aphorismen" des Hippokrates. Während bis zu dieser Zeit die Schriften des Hippokrates nur aus den lateinischen Übersetzungen kommentiert wurden war Rabelais einer der ersten, der Erläuterungen nach dem Urtexte gab, und zwar an Hand eines in seinem Besitze befindlichen wertvollen griechischen Manuskriptes. Er stellte dabei gewisse Fälschungen der bisherigen Kommentatoren fest und wies auf grobe Irrtümer hin, die sich in die Unterrichtsbücher eingeschlichen hatten. Er selbst erwähnt dies alles in einer Widmung, die er seiner bei dem Lyoner Verleger Gryphius im Jahre 1532 erschienenen Übersetzung der Aphorismen voranstellte.
Während der Zeit seiner Studien führte Rabelais das übermütige Leben eines freien Studenten. Er nahm nicht nur an den Aufführungen der Komödien aktiven Anteil, sondern dichtete für solche Anlässe eine Posse "Vom Manne, der ein stummes Weib geheiratet hatte". Bei der Aufführung spielten nicht nur er und die Studenten, sondern wahrscheinlich auch Antoine Saporta, Professor der Medizin und Kanzler der Universität. Im 34. Kapitel des dritten Buches seines Gargantua erwähnt er wenigstens mit Behagen diese Farce und zählt als Mitspieler außer sich selbst noch Saporta auf. Diese fröhliche Studentenkomödie benutzte später Molière zu seinem "Malade imaginaire".
Rabelais betrieb auch eifrig botanische Studien. Die nahegelegenen Hyerischen Inseln im französischen Mittelmeer lockten ihn der vielen heilkräftigen Pflanzen, so dass er seinen Aufenthalt in Montpellier plötzlich unterbrach und eine Fahrt auf die Inseln unternahm. Auf der Reise scheint ihm der Einfall gekommen zu sein, sich, wie es später in seinem Werke heißt, Callojer der Hyerischen Inseln zu nennen. Das Wort Callojer, das eine Zusammensetzung zweier griechischer Wörter ist, die so viel wie "schön" und "Priester" bedeuten, soll in der Renaissance einen besonderen symbolischen Sinn gehabt zu haben: Priester der heiligen Inseln zu sein, war das Ziel aller, die mit den Augen glückseliger Hoffnung in eine bessere Zukunft blickten. Rabelais blieb nur ungefähr achtzehn Monate in Montpellier, obwohl er weiterhin in den Fakultätsregistern aufgeführt wurde. Die Gründe für die Unterbrechung seines Aufenthaltes sind nicht bekannt. War es sein Drang nach Abwechslung, seine Unstetigkeit, oder die Notwendigkeit, sich wiederum seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Vielleicht schrieben auch die Universitätsvorschriften eine längere praktische Ausbildung vor, wie ja zur Erwerbung der Lizenz die theoretische allein nicht genügte. Diese beiden letztgenannten Gründe mochten ihn wohl veranlaßt haben, die Stelle eines Krankenhausarztes im großen Spital an der Rhonebrücke in Lyon anzunehmen, die ihm ein Jahresgehalt von vierzig Tourneser Pfunden eintrug.

Als Rabelais zu Beginn des Jahres 1532 diese Stelle antrat (er blieb hier bis 1534), war er zwar erst Bakkalaureus und Kandidat der Lizenz, trotzdem scheint er in Lyon neben seiner ärztlichen Tätigkeit noch Medizin gelehrt zu haben. Er nahm dort sogar anatomische Demonstrationen vor und sezierte in Anwesenheit eines großen Auditoriums den Leichnam eines Hingerichteten. Diese Sektion war für Lyon ein besonderes Ereignis, denn zu jener Zeit standen selbst einer Universitätsstadt vom Range Montpelliers nur zwei Leichen jährlich zu Demonstrationszwecken zur Verfügung.
Das große medizinische Wissen Rabelais' fand Anerkennung und trug ihm die Stelle eines Leibarztes beim Erzbischof von Paris, Jean du Bellay, ein, der ihn auf seinen Gesandtschaftsreisen 1535 und 1536 mit nach Italien nahm. Im März des Jahres 1537 finden wir Rabelais wieder in Montpellier. Als weitgereister, weltgewandter, lebenslustiger Mann schrieb er sich zur Ablegung der Lizentiatenprüfung ein. Er hatte zunächst vier Thesen in Zeitabständen von je zwei Tagen zu disputieren; die Themen wurden erst am Vorabend bekannt gegeben. Nach weiteren acht Tagen kam das eigentliche, besonders strenge Examen, wobei eine bestimmte Krankheit erklärt und einer der Hippokratischen Aphorismen erläutert werden mußten. Zur Auswahl des Themas hatte sich der Kandidat einmal beim Dekan, ein anderes Mal beim Kanzler einzufinden, mit einem spitzen Instrument in die geschlossenen Seiten der vorbereiteten Bücher zu stechen und so um das Prüfungsthema zu losen. Auch Rabelais kam dieser Vorschrift nach. Der Abschluß seiner Lizentiatenprüfungen fand im 1537 in der St. Michaelskapelle der Kirche Notre-Dame des Tables statt und dauerte von acht Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags. Das günstige Prüfungsergebnis wurde ihm unmittelbar darauf bekannt gegeben. Nach einer Woche holte er sich sein Diplom aus den Händen des Bischofs.
Einen Monat später erwarb Rabelais den Doktorgrad. Angetan mit dem karminroten Mantel der Doktoranden und dem schwarzroten Barett (mit dem ihn viele seiner Bildnisse zeigen) verteidigte Rabelais seine These. Lange noch hielt man einen in Montpellier sorgfältig auf bewahrten roten Talar für das Prüfungsgewand Rabelais'. Da sich aber viele Studenten nach bestandenem Examen ein Stück davon ausschnitten und als Talisman mitnahmen, so ist höchstwahrscheinlich vom Originalgewand nichts mehr geblieben. Im Jahre 1612 soll der damalige Kanzler den Mantel erneuert haben, eine zweite Erneuerung soll noch im Jahre 1720 vorgenommen worden.

Nach der Erlangung der Doktorwürde verließ Rabelais Montpellier noch nicht. Vom 1 Herbst 1537 bis Mitte 1538 finden wir ihn bereits als einen der vier ordentlichen Professoren der Fakultät, wo er unter großem Zulauf Vorlesungen über die " Prognostica " des Hippokrates hält. Auch hier soll Rabelais eine Sektion vorgenommen haben. Bis zum Jahre 1739 hielt er sich abwechselnd in Paris, Lyon und als Stadtarzt in Metz auf, kehrte aber 1539 wieder nach Montpellier zurück.
Schließlich nahm er in der Nähe voll Paris eine Chorherrenstelle in der Benediktinerabtei St. Maurau an. Infolge seiner Beschäftigung mit profaner Literatur war er wegen Ketzerei wieder Verfolgungen ausgesetzt, vor denen ihn der Kardinal du Belag rettete; durch seine Vermittlung erhielt er 1551 das Pfarramt von Meudon, in dessen Besitz er am 9. April 1554 in Paris starb
Rabelais gilt, gemeinsam mit seinem Freund und Lehrer Rondelet, als ein Vorläufer und Initiator der experimentellen Methode des medizinischen Unterrichts. Er, der sich so sehr zur Natur hingezogen fühlte, daß er ihre Heilkraft als die einzige wirksame Therapie ansah, der sein Wissen durch fortwährendes Suchen und Forschen, durch eigene Anschauung bereicherte, war ein Gegner scholastischer Methoden. Er hielt nur das für wahr, was er selbst oder andere mit eigenen Augen gesehen hatten.
Er besaß gute chirurgisch-anatomische Kenntnisse und soll namentlich bei Verwundungen zutreffende Prognosen gestellt haben. Er konstruierte auch chirurgische Instrumente und erfand eine Schiene, die bei Knochenbrüchen am Oberschenkel anwendbar war  und die sogar dem großen französischen Chirurgen Ambroise Paré als Vorbild diente. Der Genießer Rabelais konnte selbst bei seinen berühmt gewordenen üppigen Gelagen und Gastmählern den Wissenschaftler nicht unterdrücken. Angesichts der köstlichen Gerichte, an denen er sich unter derben und drolligen Reden ergötzte, er niemals, seine Beobachtungen anzustellen und aus allem Schlüsse zu ziehen. So verdankt man ihm manche Kenntnisse über die physiologischen Wirkungen von Nahrungsmitteln und Getränken, die ganz verschieden seien, je nachdem sie mäßig, übermäßig oder in unzureichenden Mengen aufgenommen würden.
Neben dem Arzt zeigt sich auch der Gastronom: Rabelais disputierte als Professor der Fakultät von Montpellier im Kreise seiner Kollegen .Hierbei kam es ihm nicht auf den diätischen Erfolg an, sondern auf Zubereitungen für einen erlesenen Geschmack.
Ob Dichter, Priester, Arzt, bei all den verschiedenartigen Beschäftigungen und der Abenteuerlichkeit seines langen Lebens vergass Rabelais doch niemals die Fakultät von Montpellier wo er studiert, wo er als Lehrer gewirkt hatte. Aus der Medizin, die ihn nach Montpellier geführt hatte, flossen seinem umfassenden Dichtergeist viele Anregungen zu. Die vielen Wanderschaften und die Verfolgungen denen der freimütige Priester ausgesetzt war, vermochten seinem Ansehen als Arzt nicht zu schaden. Seine medizinischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse erweckten in ihm jene Ehrfurcht vor der Natur und dem wunderbaren Mechanismus des menschlichen Körpers, die in allen seinen Dichtungen wiederklingt und die vielleicht die Grundlage seines Optimismus und der in seiner Dichtung offenbar werdenden Heiterkeit geworden ist.
Das Bild jener Zeit, die uns Rabelais in seinem Gargantua vor Augen führt, läßt hinter dem spöttisch-übermütigen Erzähler unschwer den Arzt erkennen. Das ganze Werk verrät die Methode des Anatomen, der mit geschärftem Blick an die Zergliederung der menschlichen Seele geht. Er, der in seinen Dichtungen den hemmungslosen Spötter hervorkehrt, ist sich stets der Würde bewußt, die, wie er sagt, die Zierde der Heilkunst ist. Er selbst bezeichnet sich als Arzt seines Volkes und seiner Leser, denen er die scharfe Kritik an seiner Zeit als Medikamente, in heitere Form geprägt, verabreicht.

kpa Nov.1999