|
Vorbemerkung
In der Geschichte des abendländischen
Kulturkreises wird der Zeitraum vom "Untergang des Weströmischen
Reiches" in der Mitte des 5. Jahrhunderts, bis um 1500 bzw. bis zur
Mitte des 15. Jahrhunderts, dem "Zeitalter der Entdeckungen und
Erfindungen", als Mittelalter bezeichnet.
Die Geschehnisse des Mittelalters
spielen sich also in einem Zeitraum von 1000 Jahren ab, in einem
geographisch, ethnologisch, politisch und kulturell so vielgestaltigen
Gebilde wie es Europa darstellt. Die Bezeichnung "Mittelalter"
grenzt demnach nur unscharf ab. Nicht alles, was heute für das
Mittelalter als kennzeichnend gilt, ist während des ganzen Mittelalters
und gleichzeitig in ganz Europa kennzeichnend gewesen. Das trifft
in gleicher Weise für Kulturelles wie Technisches zu und zeigt sich
besonders deutlich in den hygienischen Zuständen, Forderungen und
Bestimmungen der verschiedenen Abschnitte des Mittelalters. Gleiche oder
sehr ähnliche hygienische Zustände, die gleiche oder ähnliche
Reaktionen hervorrufen, mehren sich erst mit der Städtebildung, die
infolge der verschiedenartigen geographischen und anderen Bedingungen
ebenfalls nicht allerorts gleichzeitig, sondern in verschiedenen
Zeitabschnitten einsetzte.
Das Ziel der Aufsätze dieser Nummer ist
nicht, medizingeschichtliche Einzelheiten lückenlos aneinander zu reihen,
sondern lediglich einige charakteristische Linien aus dem vielgestaltigen
Bild der Hygiene des Mittelalters wiederzugeben. Daß man bei solchen
zusammenfassenden Darstellungen, sei es in Grundsätzlichem, sei es in der
Bewertung von Einzelheiten oder von Schlußfolgerungen manchmal anderer
Auffassung sein kann als der Verfasser, ist naheliegend.
In späteren Nummern der Ciba
Zeitschrift sollen bestimmte Abschnitte aus der Medizingeschichte des
Mittelalters noch
ausführlich behandelt werden.
Redaktion
Von Dr. A. G. Varron
Der Mensch des Mittelalters läßt sich
mit einem streng erzogenen Kinde vergleichen: liebebedürftig und gewillt,
dem Geforderten nachzukommen, voll Vertrauen, dabei verängstigt, von der
eigenen Schwäche überzeugt und darunter leidend und glücklich über
jede Aussicht auf Belohnung.
Die aus dem Norden eingedrungenen,
kraftvollen Stämme, die sich vernichtend über das Römische Reich
ergossen, hatten sich nach Jahrhunderte währenden Kämpfen in den
eroberten Gebieten angesiedelt. Ruinen der alten Welt umgaben sie und
überall begegneten sie den Überresten römischer Zivilisation. Noch in
dem Wenigen, was von ihr übrig geblieben war, erwies sie sich den Siegern
überlegen. Rom wurde zum Meister der germanischen Völker, die sich
seinem Geiste unterwarfen. Dieses Eindringen des neuen Europa in die
Kultur des alten dauerte Jahrhunderte und hatte mehrere Phasen. Die erste
- voller Schwierigkeiten und Härten - ist das Mittelalter.
Alles, was die Welt im Altertum
hervorgebracht hatte, was die Griechen in der klaren Luft ihrer Inseln
erdacht, was Wüstenvölker in Ekstase erfühlt hatten, lebte in
verdichteter Form in den Schriften der Kirchenväter weiter, deren
Weisheit die Menschen der ausgehenden Antike zugänglich waren. Aber in
der Weltstadt Rom, wo Nachkommen der Pyramidenbauer, Söhne der Männer,
die den Wundertempel von Jerusalem errichtet hatten, wo Angehörige
einstiger Weltreiche lebten, war die Nichtigkeit irdischer Erfolge
augenfällige Tatsache geworden. Daß der Körper dem Geiste feind und
alles Irdische nur Lug und Trug sei, hatten die an leiblichen Genüssen
übersättigten Römer und ihre enttäuschten Philosophen schon lange
erkannt und war ihren Armen nur zu verständlich. Die Abkehr von der Welt,
die das Christentum gebot, fiel ihnen nicht schwer: die Botschaft vom
jenseits gewährte Trost und verlieh dem Leben einen neuen, tiefen Sinn.
Wie unbegreiflich fremd jedoch mußte all dies den
jungen Eroberern erscheinen, die eben erst siegreich
die Welt entdeckt hatten und vor allem ihren ausdauernden Körpern ihre
Macht verdankten.
Jedoch wie Kinder, die gerne und willfährigen Herzens
ihnen unverständlichen Worten lauschen, unterlagen sie dem Zauber der
neuen Lehre. Sich selbst verachteten sie, weil sie die Welt nicht so
empfanden, wie es der verkündeten Weisheit gemäss als richtig galt, und
besonders verachteten sie ihre Körper, diese gesunden und kräftigen, die
es ihnen erschwerten, sich völlig von allem weltlichen abzuwenden. Jetzt
sprachen sie ihnen jeden Wert ab, versteckten sie unter den Falten der
Gewänder, verrenkten ihre Glieder, wenn sie sie in ihren Kunstwerken
darstellten. Aber so manches Wort in mittelalterlichen Gedichten, die
verstreuten Blümchen auf so manchen düsteren Pieta-Bildern oder
Kreuzigungen, die rührende Abbitte, die sterbend der heilige Franziskus
seinem "Bruder Körper" dafür tut dass er ihn zeitlebens so
gequält hat, zeugen von der irdischen Liebe zum Leben, die das
Mittelalter verdrängen musste, um den Forderungen der Glaubenslehre
gerecht zu werden.
Das aber galt es um jeden Preis : aus Liebe zu Gottes
Sohn, der für die Welt gelitten hatte und mehr noch aus Angst vor Strafe,
im Jenseits, vor der Hölle. Stärker als alle anderen Gefühle war diese
Angst. Sie beherrschte die Phantasie aller und ließ Bilder von Qualen
entstehen, neben denen aller irdische Schmerz als harmloses Spiel
erscheint. Der Hölle zu entrinnen war der Brennpunkt aller Gedanken.
Diesem Ziel zuliebe wird das Leiden
gepriesen und die Krankheit als heilig betrachtet, wird Haus und
Hof verlassen und in die weite Welt gewandert, wo Gelegenheit zu guten
Taten winkt. Aber ebenso groß wie die Sehnsucht nach den Wonnen des
Himmels, wo es keine höllischen Qualen mehr gibt, ebenso schwierig war
es, das Seelenheil zu erlangen.
Wie einen Seefahrer im schwankenden Kahn
auf stürmischem Meer, so sieht sich der Mensch des Mittelalters. Er ist
von Gefahren umlauert, die umso drohender sind, je lustvollere Formen sie
annehmen, und seinen Weg findet er nur, wenn er auf eigene Kraft
verzichtet und gläubig die rettende Hand der Kirche ergreift.
Von der eigenen Hinfälligkeit ist der
Mensch des Mittelalters überzeugt; unablässig denkt er an den Tod, der -
allem Glanz ein Ende macht und alle Unterschiede irdischen
Ranges aufhebt. Daher sind Demut, mitleidige Einsicht in die
Unzulänglichkeit der anderen und Versenkung in die Glaubenssätze der
Heiligen Schrift die Stufen zur rechten Erkenntnis. Nichts hat eigenen
Wert, alles besteht nur im Hinblick auf Gott, nur als Gleichnis des
Ewigen. Und so wird auch alles zum Symbol, von der Gestalt des
Gotteshauses angefangen, die das Kreuz des Heilands versinnbildlicht und
in den Türmen zwei Arme, die sich himmelwärts strecken, darstellt, von
den Bewegungen bei der Messe bis zu den Trachten der Menschen, der
Anordnung der Feste und allen Kleinigkeiten des Alltags. Alles ist
vorbedacht und von vornherein nach Regeln bestimmt, die aus den obersten
Gesetzen gefolgert werden und dem Bösen einen Riegel vorschieben sollen.
In Staat, Stadt, Gesellschaft, Handel, Industrie, Krieg, bei traurigen und
frohen Anlässen - überall ist alles festgelegt. Und jedes Gesetz, jede
Lebensregel, ja selbst jede hygienische Vorschrift hat auch eine gewisse
symbolische Bedeutung.
Dem Individuum, der freien Eingebung
wird mißtraut. Sich stützen und sich anlehnen ist das Verlangen dieser
entmutigten Menschen. Und kein Zeitalter und keine Kunst der Welt
verherrlichten tiefer die mütterliche Frau, als es im Mittelalter aus dem
Bedürfnis nach verzeihender Liebe und nach bergendem Schutz geschah.
Das jüngste Gericht, der Tag des Zornes
- dies irae, dies illa - schwebt als Vision über der mittelalterlichen
Menschheit. Schrecken vor der Gottesmajestät erfüllt sie, denn sie weiß
sich schuldbeladen und ohne Rechtfertigung. "Rex tremendae maiestatis"
heißt Gott in dem erschütternden kirchlichen Gesang, der verzweifelt
nach Beistand in letzter Not ruft. Und leise regt sich die Hoffnung - Hic
est Deus caritatis - barmherzig ist Gott. Erlösung belohnt die Seele, die
immer strebend sich bemüht.
Verzehrende Angst, grenzenlose
Zuversicht, dazwischen Stolz und Grausamkeit Andersgläubigen gegenüber,
Wildheit und Feinfühligkeit, Tatendrang, Abtötung aller Eigensucht und
ständige Sorge ums eigene Wohlergehen im jenseits, bedingungsloser
Autoritätsglaube und dabei viel Neugier, Genußsucht und Energie - so
lebt die europäische Menschheit tausend Jahre, Jahre ihrer Kindheit, zu
Unrecht ihr Mittelalter genannt.
Von Dr. A. G. Varron
Im frühen Mittelalter gab es in Europa
nur wenige Städte, die eine Einwohnerzahl von Hunderttausend erreichten:
Rom, Florenz, Venedig, Barcelona, zeitweilig Toulouse. Bald wuchs Paris
über sie alle hinaus. Im 14. Jahrhundert waren Gent und Brügge
zwar Weltzentren, obwohl sie weniger Einwohner hatten als Mittelstädte
von heute. Deutschland besaß keine einzige Stadt, die auch nur annähernd
hunderttausend Einwohner gezählt hätte. Nürnberg, Augsburg, Köln waren
kleiner als das heutige Gießen oder Meißen.
Die mittelalterliche Stadt eine Festung
Die Entstehung der mittelalterlichen
Städte geht auf verschiedene Ursachen zurück. Manche entwickelten sich
aus alten Römersiedlungen, andere bildeten sich um einen Bischofssitz
oder eine weltlich-adelige Burg, an die sie sich schutzsuchend lehnten,
oder wuchsen aus neu geschaffenen Grenzburgen heran. Freie
kolonisatorische Niederlassungen, wie die frühen Handwerkssiedlungen in
Flandern, die zum Kern einer Stadtgemeinde wurden, waren im
mittelalterlichen Europa eine Seltenheit. In entscheidendem Umfang setzte
die Städtebildung im 11. und 12. Jahrhundert
ein. jede Stadt mußte sich gegen Überfälle und für Kriegszeiten
schützen. Ihre Sicherheit beruhte auf ihren wehrfähigen Bürgern und den
schützenden Befestigungen, die die Stadt wie ein Gürtel einschlossen.
Viele hygienische Mißstände in den Städten kamen allein dadurch
zustande, daß die an Bevölkerung zunehmende Stadt innerhalb der
befestigten Mauern zu wenig Raum bot für die Neuzugezogenen. In den alten
Römerstädten hatten die Römer mit ihrer weitverzweigten
Verwaltungskunst und ihrer hochentwickelten Tradition hygienischer
Maßnahmen vorgearbeitet, aber ihre hygienisch-technischen Einrichtungen
(Wasserleitungen u.a.) verfielen oder wurden durch Kriegshandlungen
zerstört, und die hygienischen Bestimmungen wurden im Drange der
Stadtentwicklung vergessen. Alle Einrichtungen der mittelalterlichen
Stadtverwaltungen für die Gesundheit ihrer Bürger, für eine hygienische
Lebensbasis, mußten neu geschaffen werden.
Dabei hatten die Städte einen harten
Kampf gegen ihre eigenen Bürger zu führen. Die herrschenden ländlichen
Gewohnheiten standen mit den hygienischen Anforderungen, die das immer
dichter werdende Nebeneinanderleben mit sich brachte, in krassem
Widerspruch. Und nicht selten hielt man trotz der erkannten Notwendigkeit
verschiedener Reinlichkeitsmaßnahmen starrköpfig am Altgewohnten fest.
Vorschriften über Vorschriften und Strafandrohungen folgen einander und
werden zu Vorstufen einer behördlich geregelten Sozialhygiene.
Unterschiede in den erreichten Ergebnissen zwischen den einzelnen im
Mittelalter auch kulturell miteinander wetteifernden europäischen
Ländern feststellen zu wollen, wäre müßig; immerhin darf vielleicht
die Stadtverwaltung von Paris als die auf hygienischem Gebiet
fortgeschrittenste angesehen werden.
Wasserversorgung
Die wichtigste und nächstliegende
volksgesundheitliche Aufgabe der mittelalterlichen Stadt war die
Versorgung ihrer Einwohner mit der genügenden Menge einwandfreien
Wassers. Waren es Flüsse, die das notwendige Trink- und Kochwasser
lieferten, so findet man allenthalben - sei es nun der Tiber oder die
Seine, der Rhein oder die Mosel - Aufforderungen an die Bürger, das
Wasser nicht zu verunreinigen, keine toten Tiere hineinzuwerfen und keinen
Unrat vom Flusse wegschwemmen zu lassen. Die Gerber sollen ihre Häute
nicht im Fluß waschen, die Färber ihre Farbmittel nicht hineingießen
und niemand soll seine Wäsche und Kleider darin reinigen (Douai 1271, Augsburg 1453, Rom 1468). Zur Versorgung der
Stadt mit Trinkwasser gab es auf zahlreichen Plätzen Brunnen, um die
herum sich das bunte Treiben der mittelalterlichen Stadt abspielte. In
manchen Orten, besonders in deutschen und italienischen Ländern, waren
sie künstlerisch besonders schön ausgestattet und wurden oft zum
Wahrzeichen der Stadt. Aber auch hier mußte die Stadtverwaltung immer
wieder durch hohe Strafen gegen Verunreinigung und groben Unfug
ankämpfen. Gaben die Brunnen zu wenig Wasser, dann mußte an Zuleitung
gedacht werden. Quellen in der näheren Umgebung wurden gefaßt und in
Holzröhren (Basel 1266), im späteren Mittelalter in Bleiröhren,
nach der Stadt geleitet.
Reinlichkeit der Strasse
Der nächste Kampf der Stadtverwaltung
ging um die Reinlichkeit der Straßen. In allen Polizeiverordnungen kehrt
stets, bald bittend, bald drohend, die Mahnung wieder: "Bürger,
werft den Unrat Eurer Häuser nicht auf die Straße!" "Lagert
den Mist nicht vor den Häusern Eurer Nachbarn ab! Vor Eurem eigenen Haus
muß er alle acht Tage (Douai und Frankfurt a.M.) oder alle vier Tage
(Nürnberg) weggeschafft werden." Wohin aber? Die Ablagerung in den
Stadtgraben war ebenfalls untersagt. Es wurde verlangt, daß der Unrat ein
Stück weit vor die Stadt hinaus geschafft werde. Das Wegschaffen des
Unrats war im Mittelalter ein sehr wichtiges gesundheitstechnisches
Problem. Es darf nicht übersehen werden, daß damals in einem Haus viel
mehr Abfälle zusammenkamen als heute. In der mittelalterlichen Stadt war
die Lebenshaltung des einzelnen dem Landleben noch innig verbunden, und
anfangs waren die städtischen Häuser den Häusern in den Dörfern
völlig gleich. Auch später noch hatte nicht nur das Königsschloß in
Paris, sondern auch manches Bürgerhaus seine Scheune. So gab es z. B. in
Frankfurt a. M. um 1400 noch mehrere hundert
Scheunen. Wenn auch die Scheunen allmählich in die Außenbezirke der
Städte verlegt wurden, die Ställe für Kühe und Schweine blieben im
Haus und waren nicht selten der Straßenseite zu gelegen. Erst zu Beginn
des 15.Jahrhunderts kommt es in einigen Städten (z.B Frankfurt a.M.,
Breslau) zu einem ausdrücklichen Verbot, Schweineställe nach der
Straßenseite anzulegen; in Berlin wurde ein ähnliches Verbot erst 1641
erlassen. Die Keller waren reich versorgt, die Weinzubereitung ging
nach der Weinlese im Hause vor sich. Die Aufforderungen der
Stadtverwaltungen, dieWeinfässer nicht auf der Straße aufzustapeln und
dadurch den Verkehr zu behindern, häuften sich. Was aber außer der Menge
der Abfälle vor allem noch zur Verunreinigung der Straße beitrug, war,
daß die Bürger es nicht aufgeben wollten, in grosser Zahl Tiere zu
halten, wie Gänse, Enten und Schweine.
Die Schweine waren im Mittelalter eine
wahre Stadtplage und nicht selten die Ursache von Verkehrsunfällen.
Philipp, ein Sohn des französischen Königs Ludwig des Dicken (12. Jh.) starb an den Folgen eines Reitunfalles, der
dadurch hervorgerufen wurde, daß ein Schwein, mitten in der Stadt, vor
den Toren des königlichen Schlosses, sein Pferd zum Scheuen gebracht
hatte. Erst im 15. Jahrhundert wurde in Ulm, Frankfurt a.M., Nürnberg und
anderen Städten verboten, Schweine frei auf den Straßen herumlaufen zu
lassen, und bestimmt, daß kein Bürger mehr als 24 Schweine
halten dürfe.
Der Kampf, den die Stadtverwaltungen
gegen die Unsitte der Tierhaltung in der Stadt führten, spiegelt sich in
einer großen Zahl von Edikten wider. Im übrigen ist kennzeichnend, daß
der verdienstvolle Stadtarzt von Frankfurt a.M., Joachim Struppius (1530 bis 1606) 1573 (!) energisch verlangte, daß das
Ausgießen von Urin auf die Straßen verboten werden müsse. Ein gewisser
Fortschritt in der Reinlichkeit der Straßen wurde durch die Einrichhtung
städtischer Schlachthäuser erreicht, nur in ihnen durfte das
Töten von großem Vieh erfolgen. Die erste hierauf Bezug nehmende Urkunde
stammt von Augsburg aus dem Jahre 1276.
Zuweilen nahm der Straßenschmutz derart überhand, daß
die Priester nicht in den Dom gelangen und die Ratsherren nicht zu ihren
Sitzungen erscheinen konnten und in manchen Städten ein Paar Stelzen zur
Frühlingszeit zur notwendigen Ausrüstung eines jeden Bürgers gehörte.
Diesem Übelstand zu steuern, versuchte man es mit der Pflasterung der
Straßen. Auch sie wurde zuerst in Paris eingeführt und zwar schon
um das Jahr 1185. Prag erhielt seine
Straßenpflasterung erst 1331, Nürnberg 1368, Basel 1387 und
Augsburg im Jahre 1416.
Kanalisation
Eine wichtige Etappe der öffentlichen
Gesundheitspflege bildet die Einführung der Kanalisation, der Ableitung
von Abwässern in gedeckten Gräben. Mit der Reinigung der Kanäle waren
in den deutschen Städten meist Totengräber betraut, in Paris waren es
die in mancherlei Zeitgedichten verspotteten "maitres fifi". Die
Stadt ließ die Reinhaltung der Häuser überwachen. In Paris mußte in
jedem größeren Haus zwangsweise ein "cabinet d'aisance" mit
einer Ableitung in den Kanal sein. Die Bestrafung Zuwiderhandelnder war
drakonisch. Wer sich nicht innerhalb von drei Monaten den neuen
Hausvorschriften fügte, dessen Haus wurde beschlagnahmt und mit dem
Erlös die notwendige Einrichtung durchgeführt. Um die Widerspenstigen
herauszufinden, wurden Angeber reichlich belohnt.
Bauvorschriften
Die Straße sollte aber nicht nur rein
sein, sie sollte auch einen ungefährdeten Verkehr gewährleisten. Und
wenn es auch in manchen Städte-Urkunden heißt: "jeglicher Bürger
soll seinem Nachbar ein Bruder sein", so hinderte das die
Stadtbewohner nicht, nach ihrem eigenen Kopf und ohne Rücksicht auf die
Nächsten vorzugehen. Der eine baute seinen Laden so weit in die Straße
vor, daß er sie beinahe versperrte, der andere baute vor seinem Haus
einen abschüssigen Eingang zum Keller, eine häufig geübte Methode, die
viele Unfälle zur Folge hatte und in manchen Städten im 14. Jahrhundert
verboten wurde. Auch die oft zu weit vorgebauten Hausvorsprünge, die der
Verwitterung ausgesetzt waren und leicht abbröckelten, wurden zur Gefahr
für Vorbeigehende. Die unzähligen Bauverordnungen der Zeit bemühen
sich, die Launen persönlicher Willkür zu zügeln. Zu jeglicher baulichen
Veränderung an den Straßenseiten der Häuser, zur Anbringung von
äußeren Stiegen, Läden, Erkern und Balkonen, Giebeln und Vordächern,
war die Einwilligung der Aufsichtsbehörde erforderlich. Überall wurden
Verordnungen erlassen, deren Durchführung von der Macht der städtischen
Verwaltung abhing.
Der Markt
Schauplatz und Mittelpunkt des
mittelalterlichen Städtelebens war der Markt. Auf ihm konzentrierte sich
der Handel, hier wurde Gericht gehalten. Zusammenkünfte, Versammlungen,
Aufstände von Verschworenen, - das ganze öffentliche Leben spielte sich
hier ab. Nahrungsmittel und Leckerbissen wurden feilgeboten, aber auch
Stoffe, Schuhe, Leder, Töpfereien usw. In manchen Städten, besonders in
Italien, stellten die Wechsler auf dem Markte ihre Buden auf. Für die
Reinlichkeit des Marktes wurde so gut als möglich gesorgt, da man erkannt
hatte, daß dort, wo Lebensmittel verkauft werden, leicht gefährliche
Krankheitsherde entstehen können. Deshalb galt auch die besondere
Fürsorge der städtischen Gesetzgebung dem Markte. ln Florenz z.B. wird
bestimmt: An jedem Abend sind der Neue und der Alte Markt von Knochen und
Abfällen rein zu fegen. Donnerstag abends und am Vorabend jedes
kirchlichen Festes müssen alle Tische, Bänke und Zelte weggeräumt
werden, damit eine gründliche Säuberung vorgenommen werden kann. Um den
Markt wurde gleichsam ein Sauberkeitskordon gezogen, denn auf tausend
Schritte im Umkreis war Schuttablagerung streng verboten, und die Buße
bei Übertretung war besonders hoch.
Einwandfreie Nahrungsmittel
Nicht nur vor minderwertigen
Nahrungsmitteln versuchte die Stadt ihre Bürger zu schützen. Sie mußte
auch dafür sorgen, daß die Nahrungsmittel in genügenden Mengen
vorhanden waren. Das galt vor allem zu Zeiten von Krieg und Mißernten.
Aber auch in ruhigen Tagen kam es häufig zu Getreidenot und zu
bedrohlichem Knappwerden anderer Nahrungsmittel, was zu empfindlichen und
oft lange dauernden Teuerungen führte, wenn es der Stadtverwaltung nicht
gelungen war, rechtzeitig vorzusorgen. Die strenge Handhabung der
mittelalterlichen Lebensmittelschau ist ein eindrucksvolles Kapitel aus
der Geschichte der Hygiene. Gewiß, es handelte sich dabei lediglich um
den Schutz einheimischer Konsumenten, denn dem Fremden durfte alles
verabreicht, alles verkauft werden.
Aus den unzähligen Verordnungen einige
Beispiele: In Florenz war es verboten, Fleisch, das schon am Sonnabend zum
Verkauf ausgelegen hatte, am Montag wieder feilzubieten. Fischhändler
durften zur besseren Kontrolle ihrer Ware die Fische nirgends anders als
auf dem Markte absetzen. In Zürich durften nicht verkaufte tote Fische am
Abend nicht zurückbehalten, sondern mußten weggeschafft werden (1319),
in Luzern durften sie gar nur von einer Essenszeit zur andern
feilgeboten werden. In Basel durften die nicht verkauften Fische nur auf
einer Freibank, einem bestimmten Verkaufsstand, der mindere Qualitäten
feilhält, nochmals zum Verkauf ausgeboten werden, aber nur an Fremde
(Anfang des 13. Jahrhunderts). Augsburg hatte schon 1276 bestimmt, daß
nicht einwandfreies Fleisch kenntlich gemacht und auf einer besonderen
Bank verkauft werden müsse. Im Gegensatz zu derartig einsichtsvollen
Bestimmungen stehen die Anweisungen mancher Städte, Fleisch kranker Tiere
dem Spital zu überweisen (Straßburg 1435).
Das Hospital
Dies alles waren Maßnahmen, um den
Bürger vor Krankheiten zu schützen. Die Sorge für die Kranken selbst
lag im frühen Mittelalter ausschließlich in den Händen der
Geistlichkeit, vor allem der Mönche, die häufig medizinisches Wissen und
Erfahrungen in der Krankenpflege besaßen. Den größeren Klöstern, deren
Hauptaufgabe die Liebestätigkeit war, war meist ein Hospital
angegliedert. Hier konnten Kranke Zuflucht suchen, doch nahm man auch
Schwache und Bedürftige, Pilger und Reisende auf. In den
Bodenseeklöstern saßen im frühen Mittelalter Mönche, die schrieben und
lasen und den überkommenen Schatz an Bildung schlecht und recht wahrten
und erweiterten. Sie waren es auch, die als erste dauernd eine ärztliche
Tätigkeit ausübten. Die Bedeutung des klösterlichen Hospitals trat erst
zurück, als die Städte anfingen, eigene Krankenhäuser zu errichten,
für die Ärzte und Chirurgen von der Stadt angestellt wurden. Meist
verdankten sie ihre Entstehung frommen Stiftungen von Fürsten oder
reichen Bürgern, die für Bau und Instandhaltung sorgten. Folgende Zahlen
mögen die Häufigkeit von Spitälern in einigen mittelalterlichen
Städten veranschaulichen: Florenz besaß im 14. Jahrhundert 30
Krankenhäuser mit ungefähr 1000 Betten, Avignon zur selben Zeit 16
Spitäler. Unter Spitälern waren aber auch andere Wohlfahrtseinrichtungen
zu verstehen, wie Findelhäuser, Nachtasyle, Versorgungshäuser und Heime
für gefallene Mädchen. Aus den Statuten der Krankenhäuser geht hervor,
daß man um die Schaffung einer liebevollen Atmosphäre bemüht war. Für
bekömmliche Nahrung und reines Bettgewand wurde besonders nachdrücklich
gesorgt. Neben dem Bett des Kranken sollten stets ein Schafspelz,
Pantoffeln und eine Wollmütze bereit liegen. Die zur Krankenpflege
bestimmten Brüder werden ermahnt, mit den Kranken geduldig umzugehen. Es
galt der Grundsatz, dem Kranken jeden Wunsch zu erfüllen, was allerdings
viel eher moralisch-religiöser Anschauung entsprach, als daß es sich
medizinisch rechtfertigen ließ. Doch sollten die Pflegenden dem Kranken
zureden, nichts Unvernünftiges zu verlangen.
Paris besaß schon zu Beginn des 14.
Jahrhunderts ungefähr 40 Krankenhäuser und ebensoviele Leprosorien; die
größeren Spitäler verfügten über 20 Betten,
die jedoch oft nur Matratzen gewesen zu sein scheinen, die auf Stroh oder
einfach auf die Erde gelegt wurden. Die Ausstattung eines Spitales, soweit
aus den noch erhaltenen Inventaren geschlossen werden kann, bestand ferner
aus Bettzeug, Tischtüchern, Handtüchern - und zwar für alle Kranke
gemeinsam am gemeinsamen Waschtisch-, zahlreichen Badebottichen,
Kücheneinrichtung mit allem Zugehör. Eine Kapelle war fast immer dem
Spital angeschlossen, auch ein Priester stand stets zur Verfügung. Doch
hatten nicht alle Spitäler einen Arzt, da sie vielfach den Charakter von
wohltätigen Verpflegungsanstalten beibehielten.
Die Anstellung der Stadtärzte an
den Spitälern unterlag einer genauen Regelung. Sie wurden von der Stadt
mit einem festen Gehalt entlohnt, mußten einen Eid leisten, Armen und
Reichen gleichermaßen ihre Hilfe angedeihen zu lassen und im Falle einer
Epidemie die Stadt nicht zu verlassen, sondern treu auf ihrem Posten
auszuharren. Von den reichen Kranken wurde der Arzt jedoch noch honoriert.
Neben den Stadtphysici, von denen der Nachweis einer
Universitätsausbildung verlangt wurde, gab es noch besoldete
Stadtwundärzte, die lediglich praktisch geschult waren.
Apotheken
Apotheken mußten nicht erst von der
Stadt geschaffen werden, denn die Pharmazie war damals ein besonders
einträgliches Geschäft. Immerhin gab es noch im 15. Jahrhundert
in Deutschland Städte und Landschaften ohne Apotheken. Die
Stadtverwaltungen beschränkten sich darauf, das Verhältnis der Apotheken
zu den Ärzten zu regeln, ihre Tarife zu bestimmen und einen Eid über die
redliche Ausübung des Apothekerberufes zu verlangen. In der ältesten
deutschen Apothekerordnung, der von Basel, die in den Jahren 1271 bis 1322 entstand, wird
u. a. dem Apotheker die Behandlung von Kranken untersagt.
Schutz der Schwangeren
Maßnahmen zum Schutze werdender Mütter
tauchen zum ersten Male in Dokumenten vom Ende des 13. Jahrhunderts auf,
Bedürftige schwangere Frauen wurden sechs Wochen vor der Entbindung im
Spital aufgenommen. Außerdem sorgte die Stadt dafür, daß die
städtischen Hebammen den armen Frauen ebenso wie den reichen Hilfe
leisteten. Die Hebammen hatten, ähnlich wie die Ärzte, einen Eid
abzulegen. Ausführliche Hebammenordnungen reichen bis ins 15. Jahrhundert
zurück. Die Maßnahmen zum Schutz der Schwangeren und die
Hebammenverordnungen setzten sich nur langsam und in wenigen Städten
durch, so daß das Leben der Schwangeren und das des Neugeborenen vor
allem in den minderbemittelten Kreisen bedroht blieben.
Das Baden
Eine andere städtische Einrichtung gab
es noch, die im Leben der Bürger einen wichtigen Platz einnahm, und dem
Vergnügen als der Hygiene diente: Das Badehaus. Badestuben wurden schon
im 13. Jahrhundert in allen Städten benutzt, wahrscheinlich auch in den
größeren Dörfern. Arme gossen sich mit warmem Wasser ab, Reiche ließen
sich vom Bader in tiefen, bottichartigen Wannen mit Lauge abreiben. Auf
das Reinigungsbad folgte meist noch eine Art Schwitzbad: auf heiße Steine
wurde Wasser gegossen und dadurch so dichter Dampf erzeugt, daß der
Badende bald in Schweiß kam; dann wurde er nochmals vom Bader abgegossen.
Essen und Trinken, Mädchen und Musik gaben diesen Badestuben immer mehr
den Charakter von Vergnügungsorten, und schon früh führte die
Geistlichkeit einen heftigen Kampf gegen die Auswüchse des Badelebens.
Erst im 15. Jahrhundert fand eine Trennung in Männer- und
Frauenbadanstalten statt. Wie sehr aber das Bedürfnis nach dem
Reinigungsbad auch unter den niedrigen Ständen ausgeprägt war, zeigt die
Sitte, daß für kleine Dienste und Hilfeleistungen oft ein sogenanntes
Badegeld verabreicht wurde. Aus allen mittelalterlichen und späteren
Vorschriften und Beschreibungen gewinnt man den Eindruck, daß der
mittelalterliche Mensch mehr auf Sauberkeit und Körperpflege gab als die
Menschen des 16. und 17. Jahrhunderts.
Vielleicht mag zu dem späteren Abflauen der Bemühungen um die Gesundheit
die allmähliche Schließung der Badestuben wesentlich beigetragen haben.
Die immer größer werdende Ausbreitung der Syphilis, der Pest und des
Aussatzes und die Stellung der Kirche trugen ebenfalls dazu bei. Auch
scheint es nur spät und ungenügend gelungen zu sein, Kranke vom Besuch
der Badestuben auszuschließen, so daß diese zu einem Herd ansteckender
Krankheiten wurden.
Überblickt man rückschauend die ganze
Fülle mittelalterlicher Hygienevorschriften und Maßnahmen, die
unermüdlichen Versuche, die Nachlässigkeit der Bürger zu bekämpfen,
die Errichtung von Spitälern, die Anstellung von Ärzten, so erkennt man
ein großes, Achtung erheischendes Werk sozialer Hygiene. Umso
eindrucksvoller wirken die Versuche zu einer Rationalisierung der Hygiene,
als sie in einer Welt voll ungezügelten Aberglaubens unternommen wurden.
Fast immer war es die Kirche, die den ersten Anstoß zur Entwicklung eines
Zweiges des öffentlichen Gesundheitswesens gab. Für sie standen
allerdings nicht die medizinisch-hygienischen, sondern die sittlichen
Fragen im Vordergrund. Die Verbindung von Priester und Arzt war dem Volke
selbstverständlich, und bis ins 18. Jahrhundert
waren Mönchsärzte neben den weltlichen Ärzten tätig. Daß Wunderärzte
und die tränkebrauenden, heilkundigen Frauen sich im Mittelalter eines
großen Zulaufs erfreuten, ist leicht verständlich. Aberglauben und
wissenschaftliche Hygiene bestanden durch viele Jahrhunderte
nebeneinander, und es hat eines viele Jahrhunderte währenden Kampfes
bedurft, bis die wissenschaftliche Gesundheitspflege sich endgültig
durchsetzen konnte.
Von Dr. A. G. Varron
Der Laie
Trotz Grauen und Schrecken, die Krieg
und Pestilenz brachten, trotz des Bewußtseins von der Nichtigkeit des
irdischen Daseins und der Angst vor dem jüngsten Gericht, hat die
mittelalterliche Menschheit noch ein zweites Antlitz: das einer heiteren
und genußfrohen, die das Leben in allen seinen diesseitigen Freuden liebt
und es entsprechend einzurichten bestrebt ist. Neben der Abkehr vom
Diesseits und dem Glauben an Strafe oder Erlösung im jenseits als
einziger Wahrheit steht jauchzende Lebensbejahung.
Weit mehr, als wir es ahnen können,
wenn wir die mittelalterlichen Kunstwerke betrachten, in denen alles
Körperliche nur mit Scheu und oft symbolhaft behandelt ist, beschäftigte
sich der mittelalterliche Mensch mit der Pflege seines Körpers und mit
tausenderlei Erleichterungen seines Alltags. Deshalb war er hygienischen
Anschauungen und Forderungen, die sich auf ihn als Einzelwesen bezogen,
zugänglich. So setzte sich allmählich auch in den breiten
Bevölkerungsschichten die Überzeugung durch, daß "die
Vergewaltigung der Naturanlage" an einem frühen Tod schuld sei und
daß der Mensch durch eine richtige Lebensweise seine natürliche
Altersgrenze, das 70. Jahr, erreichen könne, ja, daß sie noch
über den Tod hinaus in irgendeiner Form wirksam bleibe.
Hygienische Vorschriften gelten schon
der werdenden Mutter; ihre Ernährung und Lebensweise muß dem Kinde, das
sie erwartet, angepaßt sein. Sie soll Gram und Ärger von sich fernhalten
und ein gleichmäßiges Gemüt bewahren. Sie soll nichts
Schwerverdauliches essen, nicht zu viel auf einmal zu sich nehmen und
lieber häufiger essen. Scharfe, gewürzte Speisen sind zu vermeiden, denn
eine weit
verbreitete Ansicht war, daß sonst dem
Kinde Nägel und Haare nicht wachsen würden.
In den mittelalterlichen Vorschriften
für die Entbindung mischen sich eine Fülle guter Ratschläge von
praktischer Weisheit mit solchen, die medizinisch unzulänglich sind. Das
Kind spielt in allen Vorschriften die Hauptrolle. Wiege, Tücher und ein
kleiner Trog sind hergerichtet. Das Neugeborene wird, nachdem die
Nabelschnur mit einem Faden abgebunden und ein Verband aus Leinenstreifen,
die in Olivenöl getaucht wurden, um seinen Körper angelegt worden ist,
gebadet. Ein Tropfen Olivenöl kommt auf seine Augen; Nase und Ohren
werden ihm gereinigt. In allen mittelalterlichen Vorschriften für Mutter
und Kind wird erwähnt, daß die Pflegeperson reine Hände haben soll und
auch geschnittene Nägel, um das Kind nicht zu verletzen. Dem Neugeborenen
ist Kälte besonders nachteilig, daher muß es sorgfältig warm gehalten
werden. Es darf nicht neben der Mutter schlafen, da die Gefahr, daß es
erdrückt werden könnte, groß ist. Die Wiege, in die es gelegt wird,
soll recht weich sein, aber nicht zu warm. Um den Gliedern des Kindes
einen schönen Wuchs zu sichern, werden Hände und Arme ausgestreckt und
gewickelt, ebenso die Beinchen und selbst der Kopf. Die ersten Tage soll
das Kind im Dunkeln liegen, damit das grelle Licht den Augen nicht schaden
kann. Zwei- bis dreimal am Tage soll es gereinigt, jeden Tag gebadet
werden, wobei besonders dafür gesorgt wird, daß kein Wasser in
die Ohren kommt. Um die Geschmeidigkeit der Glieder vorzubereiten, sind im
Bade leichte Übungen vorzunehmen, das rechte Händchen des Säuglings
wird zum linken Fuß gebracht, das linke zum rechten und auch die Beinchen
sollen in den Kniegelenken leicht bewegt werden, damit das Kind einst ein
guter Reiter werde.
Das Kind soll, wenn irgend möglich, von
der Mutter ernährt werden. Mutter oder Amme sollen sich vor dem Stillen
die Brust waschen. Verweigert das Kind in den ersten Tagen die Brust, so
gibt man ihm vor dem Anlegen ein wenig Honig in den Mund - ein Gebrauch,
der sich in manchen ländlichen Gegenden Europas bis heute noch erhalten
hat. Abgestillt wird zwischen dem ersten und zweiten Jahr. Ein Spruch aus
einem Gesundheitsbüchlein lautet:
"Mit dem Aufgang
der Zenen
Muß ich mein Kind
entwenen."
Die Kost, die auf das Stillen folgt, ist
in allen Gesundheitsbüchern genau vorgeschrieben und besteht
hauptsächlich aus süßen Breien. Zahllose Vorschriften gibt es, um das
Zahnen zu erleichtern, ebensoviele für das Sprechenlernen
"langsamer" Kinder und für das Gehenlernen. Bis zum 7. Jahr
wurde das Kind besonders behütet, viel mehr als heute. Dann trat ein
jäher Wechsel ein, und nach der ersten, hauptsächlich dem Beschützen
gewidmeten Periode kommt die Zeit der Stählung des Körpers und der
Abhärtung. Daß diese und andere Vorschriften nur von den Adeligen und
wohlhabenden Bürgern befolgt und nicht von dem armen Volke beachtet
werden konnten, ist selbstverständlich.
Auch über die Regelung des Lebens der
Erwachsenen berichten die auf uns gekommenen mittelalterlichen Traktate.
Wohnen, Essen und Reinlichkeit des Körpers sind die drei Gebiete, auf die
sich die individuelle Hygiene erstreckt.
"Die Luft, darin du
wohnst sey liecht, rein von gift und stinke nicht",
heißt es in einer solchen hygienischen
Vorschrift. Im frühen Mittelalter konnten diese hygienischen Ratschläge
wohl kaum befolgt werden. Später allerdings, mit der Erstarkung des
Bürgertums und den Vorbildern, die Kirchen und Klöster, Rat- und
Zunfthäuser boten, wies das städtische Bürgerhaus besondere bauliche
Vorzüge auf, zu denen ein ausgesprochener Wohnluxus trat. Dieser Luxus, der
sich in reichgeschnitzten Möbeln, Wandbehängen, Teppichen und vielerlei
Kunstgegenständen kundtat, stand allerdings oft in schroffem Gegensatz zu
den hygienischen Einrichtungen.
Der festungsartige Charakter der
meisten Städte bedingte bei dem stetigen Bevölkerungszuwachs das Wohnen
auf sehr engem Raume. Enge, lichtlose Gassen, die sich zwischen
"Wohntürmen" zwängten, kennzeichneten diese Festungsstädte. Das
Wohnen in den meist sehr niedrigen Räumen mit den kleinen Fenstern wird der
Gesundheit nicht besonders zuträglich gewesen sein. Wie im französischen
Dixhuitième an Königsschlössern und Fürstenhöfen neben raffiniertestem
Luxus oft unbeschreiblicher Schmutz herrschte, so waren auch im Schloß, in
der Burg und im bürgerlichen Wohnhaus des Mittelalters neben verfeinerter
höfisch-ritterlicher Kultur die primitivsten hygienischen Verhältnisse zu
finden.
Die Fenster bestanden im frühen
Mittelalter noch aus einfachen Luken, die nur schwer durch Holzverschläge
und Vorhänge verschließbar waren, und die bunten, mit Blei eingefaßten
Glasfenster, die sogenannten Butzenscheiben, waren noch im späten
Mittelalter eine kostbare Seltenheit. Der Mangel an lichten Räumen mußte
die Beleuchtung zu einem besonderen Problem machen. Der Kienspan des frühen
Mittelalters wird durch die Talgkerze ersetzt, die in Laternen oder
Hängeleuchtern steckte, häufiger aber noch durch die mit Fett oder Tran
gefüllte Lampe, deren Qualm, von allem anderen abgesehen, die Schleimhäute
des Auges und der Nase reizte.
Das Heizen, das zu Beginn des Mittelalters
nur in einfachen Herdstätten geschah, erfolgte erst nach langsamer,
Jahrhunderte beanspruchender Entwicklung in zweckmäßigerer Art. In
deutschen Ländern bürgerte sich allmählich eine primitive Form des
Kachelofens ein, in Frankreich und in südlichen Gegenden der Kamin. Die
offene Feuerstätte, die uns oft auf mittelalterlichen Miniaturen begegnet,
mag wohl keine Seltenheit gewesen sein. jedenfalls bildete die große
heizbare Stube (das Wort Stube wird von extufa = Ofen abgeleitet) den
Mittelpunkt des gut ausgestatteten Bürgerhauses. Meist wurde mit Holz
geheizt, seit dem 14. Jahrhundert wurde in manchen Städten - in
Deutschland in Lüttich und Aachen - Kohle verwendet. Der Rauch zog durch
eine Dachluke ab, erst am Ende des 15. Jahrhunderts werden
Rauchfänge obligatorisch.
Die Unsauberkeit in den Wohnstuben wird
meist als sehr groß geschildert. Wände und Fußböden waren feucht,
wogegen man sich mit Wandbehängen und Teppichen schützte, ein Luxus
jedoch, den sich nur die Reichen leisten konnten. Waschtische hat es kaum
gegeben, dagegen in den größeren Häusern Badekufen, deren Benützung
schon durch das lange Tragen des Leibzeuges unerläßlich wurde. Aborte
fehlten meist, was sicher, wie auch die Unreinlichkeit der Stuben, dazu
beitrug, daß die Seuchen sich in den Städten so schnell ausbreiten
konnten.
Ist in den mittelalterlichen Hygienetraktaten
nur wenig über die Sauberkeit des Wohnens zu finden, so spielten Essen und
der Gesundheit bekömmliche Nahrung eine umso größere Rolle. Genußsucht
und allzu große Üppigkeit veranlaßten immer wieder Mahnungen zur
Mäßigung. Nicht zu viele Speisen auf einmal soll man essen, heißt es da -
"es können auch in einem Küchentopf nicht gleichzeitig verschiedene
Gerichte gargekocht werden". Die Grundlage der Nahrung sei:
"Gutes, einen Tag altes Weizenbrot, Braten und guter Wein". Der
Speisezettel soll sich nach der Jahreszeit richten: Geflügel, Fische,
Salat, Ziegenmilch und alter Wein für das Frühjahr, Obst mit leichtem Wein
im Sommer, Obst als Zutat und starker Wein im Herbst; im Winter muß man die
Wärme des Körpers durch heiße Getränke steigern und mehr Fleisch zu sich
nehmen als zu anderen Jahreszeiten. Die Speisen sollen nicht zu heiß und
nicht zu kalt gegessen werden; sie werden in zinnernen oder hölzernen
Schüsseln aufgetragen, meist mit den Fingern gegessen, was bei größeren
Mahlzeiten das Herumtragen von Waschbecken und Handtuch unerläßlich
machte. Bei flüssigen Gerichten nahm ein jeder, mit Zuhilfenahme eines
Löffels, aus derselben Schüssel. Die wichtigsten waren Wein, in deutschen
Gegenden Wein und Bier, aber auch Wasser galt als gesund, wenn es
"Farblos, geruchlos und geschmacklos" war. Wie sehr sich
Völlerei und Trunksucht zu Ende des Mittelalters steigerten, zeigen die
vielen Verordnungen, mit denen vom 15. Jahrhundert angefangen, Obrigkeit und
Kirchenbehörden einzuschreiten versuchten. Auch in zahlreichen
Volksbüchern werden die Gefahren des Alkoholismus eindringlich geschildert.
In den Schriften, die über die
Gesundheitspflege belehren, wird auch der Schlaf ausführlich behandelt. Den
mittelalterlichen Anschauungen entsprechend schützt ein guter Schlaf vor
Krankheiten und erzeugt die guten Körpersäfte. Zorn und Leidenschaften,
die von zu reichlichem Genuß der Speisen kommen, werden vertrieben. Es gibt
allerlei Vorschriften, wie man beim Schlafen liegen soll, wer diese
Vorschriften nicht beachtet, ist leicht manchen Krankheiten ausgesetzt, wie
Schlagfluß, Tobsuchtsanfällen, Alpdrücken usw., da "die unnötigen
Gehirndämpfe keinen Auslaß haben". Der Mund soll beim Atmen
offenstehen, damit die entstehenden "Feuchtigkeiten" entweichen
können. Auch über das Bett und seine Ausstattung sind wir durch die
häufigen und genauen Beschreibungen der Schlafgemächer gut unterrichtet.
Das Bett war zwar groß und weich, mit Federn gefüllt, aber als Unterlage
des Federbettes diente meist nur Stroh, auch schlief man unbekleidet und nur
mit Tüchern oder Fellen zugedeckt.
Daß man, um Krankheiten zu vermeiden, den
Körper von schlechten Säften reinigen soll, war eine Auffassung, die im
Mittelalter im Volke allgemein verbreitet war und mit den Anschauungen der
Medizin übereinstimmte. Um sich seine Gesundheit zu erhalten, sollte sich
jeder den drei wichtigsten Behandlungsmethoden unterziehen: dem Purgieren,
Schröpfen und Aderlassen. Volksbücher und Kalender, Miniaturen und
Holzschnitte geben uns ein lebendiges Bild von diesen dem Mittelalter
prophylaktisch und therapeutisch so wichtigen Maßnahmen, die meist in
Rasierstuben und Badehäusern vom Bader und Barbier vorgenommen wurden. Wann
der Aderlaß wirksam ist, darüber belehrten Kalender, Laßzettel und
Laßbriefe. In besonderen Jahreszeiten und bei besonderen astrologischen
Konstellationen sollte er erfolgen, aber auch an besonders warmen und
feuchten Tagen, "weil auch das Blut des Menschen warm und feucht
ist".
Der Einfluß, den die literarische
Nachfolge des wahrscheinlich im 12. Jahrhundert
entstandenen medizinischen Lehrgedichtes "Regimen sanitatis
Salernitanum", die Volksschriften und Kalender, die zu Beginn der
Buchdruckerkunst die Länder überschwemmten, auf die Entwicklung der
Gesundheitspflege hatte, wäre eines besonderen Studiums wert. Mit größter
Genauigkeit wird in ihnen jede Einzelheit des täglichen Lebens behandelt,
die Pflege eines jeden Körperteils angegeben.
Auf die Pflege der Zähne legte man
offensichtlich besonderen Wert. Um Mund und Zähne gesund zu halten und den
Atem wohlriechend zu machen, kaute man wohlriechende Blätter, machte
Spülungen mit Wein, in dem Wurzeln aufgekocht wurden und behandelte die
Zähne mit verschiedenen Pulvern, deren Hauptbestandteile gebranntes
Hirschhorn, gestoßener Marmor und verschiedene Wurzeln waren. Diese Pulver
wurden in kleine Säckchen aus porösem Leinen getan und mit ihnen die
Zähne abgerieben.
Daß Kosmetik und Haarpflege in einer
Zeit, die eine so verfeinerte Liebeslyrik hervorbrachte wie das Mittelalter,
besonders hervortraten, nimmt nicht wunder. Mit vielerlei wohlriechenden
Salben und Essenzen wurde das Haar gepflegt, und über das immer mehr
überhand nehmende, der Haut wenig zuträgliche Schminken wurde schon im 17. Jahrhundert geklagt.
Der Mönch
Wie sich die Geschehnisse des
vielgestaltigen Mittelalters überhaupt nicht auf eine gültige
Formel bringen lassen, so auch nicht die vielerlei hygienischen
Einrichtungen der mittelalterlichen Klöster. In den großen Klöstern der
Kluniazenser dürfte sich schon im 12. Jahrhundert die Lebensführung nicht
wesentlich von der der wohlhabenden Laien unterschieden haben. Doch traten
gegen die "verweltlichten" Orden immer wieder andere Orden
strenger Observanz auf, die eine grundsätzlich andere Einstellung ihrer
Glieder verlangten. Der Eintritt in das Kloster sollte eine vollständige
Umstellung der Lebenshaltung bedeuten, und die Gründer dieser neuen Orden
wollten durchsetzen, daß mit dem "Abschied von dieser Welt" auch
wirklich ernst gemacht würde. Für Bernhard von Clairvaux (12. Jh.) und seine Brüder ist die Welt nicht nur ein
Jammertal, sie ist vor allem ein sinnloser Tanz um Güter ohne Wert. Der
Mensch liebt sich und seinen Körper: Was ist dies anderes als
Götzenanbetung ? Nur Askese und Ausschaltung aller sinnlichen Freuden
können der Seele ihre ursprüngliche Rechtschaffenheit wiederbringen. Und
die zur Durchführung dieses strengen Lebens auserwählten Orte sind die
Klöster. Vorbildlich wurde in mancher Hinsicht der zu Ende des 11.
Jahrhunderts gegründete Orden der Zisterzienser. Alles im Leben dieser
Mönche ist den Grundsätzen der Frömmigkeit unterworfen, die Lebensweise
einschließlich der sie berührenden hygienischen Vorschriften. Die
Lebensregeln, die in diesen Klöstern galten, wirkten bis weit hinein in die
Kreise der Laien. Schon der Bau der Zisterzienserklöster zeigte durch die
besondere Einfachheit den bewußten Gegensatz zu den Kluniazensern, deren
Abteien häufig luxuriöse Einrichtungen aufwiesen. Einfach war die Wohnung
des Zisterzienserabtes, einfach das Refektorium und von höchster
Einfachheit die Zellen der Brüder. Die Tageseinteilung war bis ins kleinste
geregelt. Ein jeder muß in einem eigenen Bett schlafen, aber angekleidet
oder mindestens in Unterkleidern. Sieben Stunden Schlaf genügen. In einem
gemeinsamen Waschraum werden Hände und Gesicht gewaschen, um den
Waschbrunnen sind vier Handtücher aufgehängt: eines für die Priester,
eines für die Diakone, eines für die Subdiakone und das vierte für jene,
die keine gesunden Hände haben. Den ganzen Körper wäscht man nur am
Samstagabend, um sich würdig für den Sonntag vorzubereiten; dann werden
auch die Kleider gewechselt. Das Bad wird nach Möglichkeit vermieden. In
einer Klosterordnung der Zisterzienser heißt es: "Sonst pflegen sich
die Menschen, wenn sie rasiert sind, zu baden. Die Mönche aber sollen es
nur zweimal jährlich tun, zu Weihnachten und zu Ostern. Da kann jeder
baden, der will. Sonst darf es nur mit Erlaubnis des Abtes geschehen, wenn
es die Gesundheit erfordert." Die Fußwaschung war eine religiöse
Übung der Demut und kann nicht zu den hygienischen Maßnahmen gezählt
werden.
Die Mahlzeiten der Zisterzienser waren
kärglich. Von Ostern bis Pfingsten, in der Freudenzeit der österlichen
Auferstehung, gab es täglich zwei Mahlzeiten, mittags und abends. Von
Pfingsten bis September eine, außer Sonntags, wo gewöhnlich zwei
verabreicht wurden. In der darauffolgenden strengen Fastenzeit aber war auch
Sonntags nur ein Mahl vorgesehen. Zu Tische wurden außer Obst oder rohem
Gemüse zwei gekochte Speisen aufgetragen. Geflügel war streng, verpönt,
"nicht einmal der Bischof darf einem Mönche befehlen, außer im
Krankheitsfalle, solches zu sich zu nehmen". Die Speisen wurden nicht
mit Fett zubereitet, nur zwanzig Tage vor Weihnachten, vor dem
vierzehntägigen Fasten, wurde, um die Mönche für die bevorstehende harte
Zeit zu stärken, den Gerichten Butter oder Fett beigefügt. jeder Mönch
durfte täglich ein Pfund Brot verzehren.
Es war erlaubt, zu den Mahlzeiten
ungefähr ein Drittel Liter Wein zu trinken, doch wurde völlige Abstinenz
als Gott wohlgefälliger angesehen. Auch in einer Benediktinersatzung heißt
es: "Wem aber Gott die Kraft verleiht, sich des Weines ganz zu
enthalten, der wisse, daß er besonderen Lohn empfangen wird."
Die strengen Ernährungsvorschriften
wurden bisweilen dadurch gemildert, daß fromme Bürger Schenkungen für den
Tisch der Mönche machten. Auch die zunehmende Verweltlichung und der
anwachsende Reichtum mancher Klöster wandelten die ursprünglich so karge
Kost allmählich in üppige Mahlzeiten um, bei denen es an Fleisch, feinsten
Zuckerbackwerken und starken Weinen keineswegs fehlte.
Einfach, wie ursprünglich die Ernährung,
war auch die Kleidung. Die Zisterzienser, die "grauen Mönche",
trugen eine Art Tunika aus Leinen oder Wolle, darüber einen Schulterumhang.
Der lange Mantel aus haarigem Stoff mit Kapuze schützte gleichmäßig gegen
Kälte und gegen Sonne. In den meisten Satzungen, die sich mit der
Bekleidung der Mönche beschäftigen, wird gesagt, daß sie sich nach der
jeweiligen Lage des Klosters und nach dem Klima richten soll. Zur
Ausstattung der Mönche gehörten aber auch, wie aus manchen Inventaren
folgt, Hemden, Strümpfe, Gamaschen, Strumpfbänder und Pantoffeln, in
besonders kalten Gegenden ein Muff und ein Schaffell.
Die Art und Weise, wie die Mönche für
ihre eigenen Kranken sorgten, wurde vorbildlich für die Laienwelt. Die
Klöster hatten ein "infirmitorium", wo die Kranken
abgesondert behandelt wurden, eine reichlich ausgestattete Apotheke, oft
auch einen Garten mit Heilpflanzen. Es gibt kaum Satzungen irgendeines
Ordens, die nicht genaue Vorschriften über die Pflege von Kranken
enthalten, ebenso auch hygienische Ratschläge für die Genesenen, die baden
und ihr Geschirr reinigen sollen. In der Art, wie es den Mönchen
vorgeschrieben wurde, gleichmäßig für Arme und Reiche zu sorgen, was in
den Franziskaner- wie in den Augustinerregeln besonders hervorgehoben wird,
sind die schon ausgebildeten Anfänge einer sozialen Hygiene zu sehen, wie
sie erst in viel späteren Zeiten von den Städten übernommen und
ausgebildet wurde.
Die hygienischen Hauptmaßnahmen, um die
Mönche bei guter Gesundheit zu erhalten, waren, in Fortführung der antiken
Überlieferung, der Aderlaß und das Purgieren. Der Blutverlust, den ein
wiederholter Aderlaß bedeutet, mag ihnen wohl als ein Mittel erschienen
sein, die Askese zu erleichtern. Die Feierlichkeiten, die mit den ziemlich
häufig erfolgenden Aderlässen verbunden waren, und die sogenannten
Aderlaßhäuser, wie im Kloster von St. Gallen, zeugen für die Wichtigkeit
Jener Maßnahme im Leben der Mönche.
Von der Lebensweise in den großen Orden
des Mittelalters unterschied sich erheblich jene in den Orden der
Bettelmönche, die als Folge der asketisch-reformatorischen Bewegung
innerhalb von Klerus und Kirche gegründet worden waren. Ihre Heimat war
nicht das Kloster, denn sie befanden sich stets auf der Wanderung von Stadt
zu Stadt, wodurch sie mit dem Volke weit mehr in Berührung kamen als die
Mönche der Klöster; sittliche und auch hygienische Anschauungen konnten
durch sie leicht verbreitet werden. Doch hatten sie sich grundsätzlich jede
Lebenserleichterung untersagt, trugen weder Hemd noch Schuhe, erbettelten
sich die Nahrung, so daß ihr Einfluß weit mehr auf religiösem Gebiet lag
als auf sozialhygienischem. Hier wurde bestimmend der Einfluß der
bürgerlichen Hospitalsorden, deren aufopfernde Pflegetätigkeit besonders
der mittelalterlichen Schweiz und den süddeutschen Städten zugute kam.
Die Angst vor Krankheiten im Mittelalter
Die Angst ist aus dem seelischen Leben des
Mittelalters nicht wegzudenken. Man fühlt ihren beklemmenden Druck in den
Vorstellungen von Hölle und Fegefeuer und in den Bildern vom Teufel und den
Dämonen. Das Sündenbewußtsein des mittelalterlichen Menschen läßt ihn
die Schrecken des Krieges und der Epidemien als unabwendbare Heimsuchungen
vorausahnen. Von unheilbarer Krankheit befallen zu werden, war eine der
quälendsten Angstvorstellungen der Zeit, um so mehr als man sich der Gefahr
gegenüber fast machtlos fühlte. Und doch - der Mensch des Mittelalters war
ihr gegenüber nur seelisch passiv eingestellt; praktisch tat er
alles, was er konnte, um sich zu schützen, tat es, wie es der Zeit
entsprach, indem er medizinisch begründete Abwehrmaßnahmen mit
religiös-magischen zu vereinen trachtete.
Die große, sich täglich erneuernde
Furcht galt dem Aussatz. Ein Aussätziger bedeutete eine öffentliche
Gefahr, die Gesunden hatten ein Recht sich zu schützen, und der Aussätzige
wurde aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Diese Ausschließung ging
ursprünglich mit großer Feierlichkeit vor sich und war bis ins 11.
Jahrhundert von einem schaurigen Ritual begleitet. Im Beisein des als
aussätzig Erklärten wurde ein De profundis, eine Totenmesse, gelesen. Dann
hüllte man ihn in ein Leichentuch, legte ihn in einen Sarg und warf drei
Schaufeln Erde auf ihn. Später wurde die Zeremonie' gemildert, es wurde nur
eine feierliche Messe gelesen, Priester, Verwandte, Freunde und Nachbarn
geleiteten den Kranken zu seinem neuen Heim vor die Stadt, das entweder ein
Leprosorium oder ein eigenes kleines Häuschen vor den Toren der Gemeinde
war, häufig durch ein weißes Kreuz als Wohnstätte eines Aussätzigen
kenntlich. Auf Stadtkosten war das Haus mit Tisch und Stuhl, einem Lager,
ein wenig Wäsche und Geschirr versehen. Alles das mußte so einfach als
möglich sein, denn nach dem Tode des Kranken wurde die ganze Einrichtung
verbrannt. Der Lepröse mußte eine besondere Kleidung tragen, die ihn
seinen Mitmenschen als solchen kenntlich machte; meist war es ein grauer
Anzug, ein langer Mantel mit Kapuze, in dem sich der Wind verfangen sollte,
damit man schon aus der Ferne den Aussätzigen erkennen könne. Beim
Herankommen von Menschen mußte er durch eine Klapper oder ein Hornsignal
warnen, so daß alle noch rechtzeitig vor ihm fliehen konnten. Einen Stock
mußte er tragen, denn es war ihm streng verboten, irgendwelche Eßwaren,
die er kaufen wollte, zu berühren, mit dem Stock konnte er auf sie
hinweisen. Wollte er an einem öffentlichen Brunnen trinken, so mußte er
das Wasser mit seinem eigenen Becher schöpfen, seine Kleider und Wäsche
durfte er nicht im Fluß waschen, kein Barbier durfte ihn rasieren oder ihm
das Haar schneiden. Auf dem Markte durfte er sich nicht sehen lassen, der
Eintritt in Gasthöfe war ihm untersagt. Der Kirche durfte er sich nur bis
zur Türe nähern, doch hatten die meisten Leprosorien ihre eigene Kapelle.
Gewöhnlich wurde die Tatsache, daß ein
Mensch von Lepra befallen war, erst durch Gerüchte, die in der Stadt
umliefen, oder durch eine Anzeige der Nachbarn bekannt. Der Beschuldigte
mußte sich einer Untersuchungskommission stellen, die im frühen
Mittelalter aus dem Bischof, einigen Geistlichen und einem Kranken bestand,
der als "Spezialist" angesehen wurde, später aus einigen
angesehenen Ärzten und Barbieren der Stadt. Wurde der Angezeigte von der
Krankheit frei erkannt, so hatte er das Recht, gegen die Beschuldiger Klage
zu erheben. Sein Gesundheitsattest wurde an den öffentlichen Plätzen der
Stadt durch den Ausrufer bekannt gemacht.
Die Angst vor den Aussätzigen ging weit
über das sachlich Gerechtfertigte hinaus. Man traute ihnen zu, daß sie mit
Absicht andere Menschen anstecken wollten, vermutete gar, daß sie eine
Weltverschwörung anzuzetteln gedachten, durch die sie, die Aussätzigen,
sich zu den Herren der Welt machen wollten. Auch beschuldigte man sie,
Brunnen zu vergiften und geheime Künste auszuüben.
Um so eigenartiger wirken die
Unterbrechungen aller Vorsichtsmaßregeln bei besonderen Anlässen: Verbote,
die Stadt zu betreten, wurden häufig für Weihnachten und Pfingsten
aufgehoben, damit die Kranken von der öffentlichen Mildtätigkeit Almosen
erbitten konnten, in Paris durften sie sogar jeden Montag an der Großen
Brücke auf milde Gaben warten. Wie so oft im Mittelalter, so führte auch
hier die Angst vor Ansteckung einen Kampf mit der Angst, im jenseits für
die Hartherzigkeit gegen Kranke bestraft zu werden. Es darf
angenommen werden, daß der Aussatz schon im 11. Jahrhundert
verbreitet war (Kreuzzüge!), um die Mitte des 12. Jahrhunderts seinen
Höhepunkt erreicht hatte und um die Mitte des 14. Jahrhunderts
allmählich abflaute. Erst im 16. Jahrhundert, in dem die strengen
Schutzmaßnahmen fortgesetzt wurden, verlor der Aussatz an praktischer
Bedeutung.
Gegenüber der Angst vor dem Aussatz trat
die vor allen anderen Krankheiten zurück. Nicht einmal die gegen Ende des
15. Jahrhunderts auftretende Syphilis konnte eine ähnliche Furcht
erregen. Um die Syphiliskranken abzusondern, schuf man sogenannte
Blatternhäuser. jenes von Straßburg wies schon 1496 zweihundert Insassen
auf. Die Behandlung erfolgte auf Kosten der Stadt und bestand vor allem in
Quecksilbereinreibungen. Besondere Blatternärzte wurden angestellt. Eine
andere, jedoch umstrittenere Behandlungsmethode war die mit Guajakholz. Die
reichen Fugger hatten durch den Handel mit ihm ihren Reichtum noch
wesentlich vermehrt; aus dem Gewinn ließen sie 1525 in Augsburg zwei große
"Franzosenspitäler" errichten. Im übrigen machte die Syphilis,
wohl wegen ihrer weniger dramatischen Symptome, dem Spätmittelalter weniger
Sorgen, als es zu einer energischen Bekämpfung notwendig gewesen wäre.
Gesteigert wurde die allgemeine Furcht vor
Krankheiten durch die großen Pestepidemien, die vom 12. Jahrhundert
an in schreckenerregendem Ausmaß über die Länder hereinbrachen und ganze
Gegenden buchstäblich entvölkerten. Die stärkste Pestepidemie war die des
Jahres 1348. Durch sie soll Europa ein Viertel seiner Bevölkerung verloren
haben.
Der erste Gedanke beim Auftreten des
"schwarzen Todes" war Flucht. "Verstecken nützt nicht",
sagt 1394 Simon von Couven in Montpellier, "die einzige Rettung ist die
Flucht." Aber alles konnte nicht fliehen. Und die noch Gesunden
versuchten, die Pestkranken wie die Aussätzigen möglichst zu isolieren und
dadurch die Gefahr der Ansteckung zu verringern. Trotz der fast grausamen
Konsequenz, mit der diese Maßnahmen angewendet wurden, bei der Pest
erwiesen sie sich als unwirksam. Das ganze Haus des Kranken war gebannt.
Seine Angehörigen und alle, die mit ihm in Berührung kamen, mußten mit
ihm abgeschlossen bleiben. Man mauerte die Eingangstüre zu, um sicher zu
sein, daß das Gebot auch befolgt wurde. Durch Boten lieferte die Stadt den
Abgeschlossenen Nahrung. Die Toten wurden durchs Fenster hinuntergelassen
und in Karren, den sogenannten "Rabenkarren", vor die Stadt
geführt. Die Bestattung außerhalb der Stadt war ebenfalls eine Maßnahme
zur Eindämmung der Epidemie, denn zu gewöhnlichen Zeiten befand sich der
Friedhof bei der Kirche im Innern der Stadt. Die Fenster und Türen des
Hauses, in dem ein Pestkranker gestorben war, mußten acht bis zehn Tage
offen stehen in allen Räumen Räucherungen durchgeführt werden, Kleider
und Wäsche wurden verbrannt. Während der Epidemien waren Ansammlungen zu
vermeiden, Feste und Predigten verboten; gestattet waren einzig und allein
die Bittprozessionen, daß Gott die Geißel von der Stadt nehmen möchte.
Reisenden, die aus Gegenden kamen, in denen die Pest herrschte, wurde der
Eintritt in die Städte verwehrt. Bernabo, der Herzog von Mailand, war der
erste, der durch die Maßnahmen, die er 1374 in seiner Stadt vornahm, die
"Quarantäne" eingeführt hat. Doch auch damit konnte er Mailand
in diesem Jahre nicht vor der Pest bewahren, aber die nächste Welle der
Epidemie war in Mailand viel schwächer als in den anderen italienischen
Städten.
Während der Seuche war es schwierig, den
ärztlichen Dienst in der Stadt sicherzustellen. Die Ärzte selbst fühlten
sich der Seuche gegenüber ohnmächtig. Jede Schutzmaßnahme schien ihnen
angesichts der unausweichlichen Ansteckungsgefahr fast nutzlos. "So
groß ist die Gefahr, daß einer vom anderen die Krankheit bekommt, ohne
auch nur mit ihm zu tun zu haben, bloß wenn er ihn ansieht", heißt es
in Montpellier. Die Ärzte waren selbstverständlich am meisten gefährdet
und schützten sich, so gut sie konnten. Sie forderten, daß bei ihrem
Besuch der Kranke die Augen schließe und sich mit dem Bettuch zudecke, so
ging die Untersuchung vor sich. Fieberte er und war somit, nach den
Anschauungen der Zeit, die Ansteckungsgefahr gesteigert, so mußte er sich
einen Essigschwamm vor den Mund halten, war der Kranke "kalt",
dann sollte er durch Kümmel die Übertragungsmöglichkeit abschwächen.
Wer nicht fliehen konnte, versuchte alles,
um der entsetzlichen Seuche zu entgehen. Das größte Vertrauen brachte man
Ausräucherungen entgegen; die Pestbücher raten immer wieder, besonders
abends ein Feuer im Hause anzuzünden und Rosmarin, Ambra, Mastix und
Schwefel zu verbrennen, damit der Rauch die Luft reinige. Während der
Pestzeit sollte man nicht baden. Der Aderlaß wird, wie fast bei allen
Krankheiten, auch hier empfohlen. Manche glaubten auch, daß Menschen, die
in Spitälern und an "anderen übelriechenden Orten" arbeiteten,
dadurch vor der Ansteckung gesichert seien. Man erklärte dies damit, "daß ein Gift das andere schwächt, besiegt und
niederwirft". Und es gab Ängstliche, die täglich besonders
übelriechende Orte aufsuchten, sich stundenlang dort aufhielten und die
schlechten Düfte einatmeten, um sich auf diese Weise zu schützen. Man
trachtete auch, der Epidemie mit geistigen Mitteln beizukommen. Das ganze
Mittelalter hindurch wurde angenommen, daß besonders Trauer und Leid zur
Krankheit führten. Die panikartige Verzweiflung, die während des großen
Sterbens herrschte, mußte, so meinte man, der Krankheit besonders Vorschub
leisten. So verboten die Stadtverwaltungen immer wieder, die Sterbeglocken
zu läuten, die sonst den ganzen Tag geklungen hätten, auch sollte man
keine Trauerkleider tragen und seine Trauer nicht laut kundtun. Um den
fürchterlichen psychischen Druck, so gut es ging, abzuschwächen, hatte die
Kirche große Beichterleichterungen eingeführt, Sterbende konnten im
Notfalle sogar durch einen Laien Vergebung erlangen.
Schrecken und Angst vor dem unerklärbaren
Übel, das die Menschen heimgesucht hatte, trieb sie, nach dem Schuldigen,
der Gottes Zorn so herausgefordert hatte, zu suchen. In vielen deutschen
Städten wurden die Juden verfolgt, man beschuldigte sie, die Brunnen
vergiftet zu haben. Viele auch klagten sich der eigenen Sünden an und taten
sich zu Geißlergruppen zusammen, die wehklagend, zur Buße auffordernd und
sich mit Ruten schlagend durch das Land zogen und zu dem ohnehin furchtbaren
Bild noch eine schaurige Einzelheit mehr hinzufügten.
Der Lepra verdächtigt - aus Geschäftsneid
Anzeigen wegen Lepra wurden im Mittelalter
manchmal dazu benützt, um eine lästige Konkurrenz loszuwerden, wie
folgendes Begebnis zeigt: Jean Bienfait, Gasthausbesitzer in Avignon, wurde
1494 von einem anderen Gastwirt, dessen Gasthaus
aber weniger besucht war als das seine, wegen Aussatz angezeigt. Aussätzig
zu sein hätte den Ruin von Bienfait bedeutet, denn die Gaststätte eines
Leprakranken wäre sofort von allen gemieden worden. Bienfait stellte sich
einer Kommission der angesehensten Ärzte von Avignon, die ihn für gesund
erklärten. Er wandte sich dann an einen Untersuchungsausschuß der
medizinischen Fakultät von Montpellier, und auch hier wurde das Urteil von
Avignon bestätigt. Der Gesundheitserklärung wurden die beiden Atteste
beigefügt, überall angeschlagen und in der Stadt ausgerufen. Bald war das
Unternehmen Bienfaits wieder so blühend wie zuvor.
|
|