Leipziger Fehlgriffe - Zum Konflikt zwischen Badern und
Barbieren im 17. Jahrhundert -

Wohl die Mehrzahl der heute in Stadt und Land praktizierenden Ärzte Europas sieht sich in einer Berufstradition, die geradewegs in die Universitäten des Mittelalters führt. Und auch unter ihren Patienten dürfte sich kaum jemand finden, der an diesem prestigeträchtigen Bild zu kratzen wagte.

Tatsächlich aber konnten sich nur begüterte Patienten studierte Ärzte leisten, falls in der Nähe überhaupt einer lebte. Daß sie damit auch die bestmögliche Versorgung genossen, darf über Jahrhunderte hinweg bezweifelt werden. Denn ob ihrer Gelahrtheit mochten sich die Herren die Finger nicht besudeln. An der Chirurgie und insbesonders der Wundchirurgie entwickelte der Ärztestand wenig Interesse. Das war im Sinne des Wortes Handwerk. Stand ein Eingriff an, so kamen vom Doktor bestenfalls Anweisungen, wo und wie dieser auszuführen sei.

Der einfache Mann nahm andere Dienste in Anspruch. Ihm boten sich Barbiere, Wundärzte, Bader, Feldscher, Steinschneider, Okulisten, Starstecher, Zahnbrecher, Salbenmänner, 'Segenssprecher', 'Kindermütter', 'alte Weiber' und 'Muhmen' und andere 'weise Frauen' an, nicht zu vergessen die Apotheker, Materialisten, Wasserbrenner, Theriakhändler und mit Heilmitteln schachernde Kleinkrämer. Da waren viele Quacksalber, Scharlatane, Gauner darunter, gegen die sich die seriösen Meister zu Recht empörten. Doch unter den organisierten Zünften mißgönnte ohnehin ein jeder dem anderen die Butter, ja oft gar das Brot selbst. In Leipzig, aber nicht nur dort, ging es besonders zwischen den Badern und Barbieren mitunter hoch her.

Auch im heutigen Deutsch ist die begriffliche Scheidung beider Bezeichnungen sehr schwierig - kein Zufall, wenn man einen Blick auf den geschichtlichen Hintergrund wirft. Bader hatten im Mittelalter mit Badestuben begonnen, in denen sich ein großer Teil des öffentlichen Lebens - bzw. ein großer Teil des Lebens öffentlich - abspielte. Die Bäder wurden in geheizten Räumen genommen, einzeln oder in Gesellschaft. Später kamen auch Dampfschwitzbäder auf, und wenn der ermattete Gast sich ausruhte, schnitt man eingewachsene Nägel aus, entfernte Hühneraugen, öffnete Abszesse, zog faule Zähne, setzte Schröpfköpfe oder nahm zur Anregung des Kreislaufs einen Aderlaß vor. In diesen Häusern arbeiteten Gehilfen, welche als Barbiere die Bärte scherten, rasierten und schröpften. Mit der Zeit wurden sie den Badern eine gefährliche Konkurrenz, und rissen die niedere Chirurgie weitgehend an sich. In Kriegszeiten wurden sie dann als Feldscherer oder Feldscher unentbehrlich.

Soweit die im Stadtarchiv Leipzig erhaltenen Dokumente das erkennen lassen, waren die Leipziger Bader und Barbiere spätestens seit dem 15. Jahrhundert in einer Innung organisiert. Wie weit die von Zöllner für das Jahr 1467 konstatierte Trennung der beiden Gruppen ging, wurde mir aus den zurate gezogenen Unterlagen nicht ganz klar. Infolge der Syphilis wie auch des Drucks durch die Kirche dürfte wie im ganzen Reiche die Zahl der Badestuben allmählich zurückgegangen sein. Ein Blick auf die "Bader Innungs Articul" von 1627, um deren gnädige Konfirmation man den sächsischen Kurfürsten bat, zeigt im Abschnitt über "Examen und Fragestücke der Bader" erstaunlicherweise den ganzen Bereich der "Kleinen Chirurgie":

"Examen und Fragstücke der Bader Vom Haupt Von der Hirnschal Von der Dura und Pia Mater Von Halß und Brust Von Bauch undt Weit Wunden [Weidwunden] Von Achßell undt Hüfften Von Arm und Bein Von verrenckten und verstauchten Gliedernn, Von zerbrochen gliedern Vonn Geschoßenen Gliedern. Von Geschnittenen Gliedern. Von verwundten glenckenn Von offenen erzunten undt geschwollenen Schäden Von Tödtlichen Wunden Von Bluttstellung [,] wundt träncklein undt Pulver leschungen Von Aderlaßen Von Symptomen und Zufallen Von allerley gefehrlichen gebrechen und Schäden Von Kraffts H Wirckung und Eigenschafft der Pflaster Von Praeparierung undt Zurichtung der Pflaster Von Auff= und Zurichtung der Werckstätte"

Ende des Jahrhunderts, Anno 1695, entwarfen die Meister der "zur Leipzigischen Haupt=Lade gehörigen Bader und Wundärzte" eine neue Satzung, die hinsichtlich der chirurgischen Fragestücke nahezu den gleichen Wortlaut zeigt. Andererseits waren die Barbiere immer wieder darauf aus, das Verbinden und Heilen durch Bader im Weichbild der Stadt zu verhindern. Hierzu berief man sich auf eine "gerichtlich abgeredete Vergleichung" aus dem Jahre 1500. Überdies sei die Barbier-Innungsordnung von 1625 kurfürstlich bestätigt, also das Betätigungsfeld gewissermaßen abgesteckt. Doch Brauch und Vorschrift klafften wie überall ziemlich auseinander.

So schliefen die Hunde nur leicht, als sich der Bader Andreas Weißken in der Ranstedter Badestube unterstand, einen verletzten Soldaten zu behandeln. Den Hinweis, es handele sich um eine böhmische, also ortsfremde Verletzung, wollten die Barbiere nicht zur Kenntnis nehmen und peitschten die Angelegenheit bis zum Rat hoch. Allerdings hatte man Anno 1500 im besagten "Abschied" den Badern offenbar das Recht zugestanden,. daß sie Personen kurieren dürften, die sich außerhalb des Weichbildes "beschädigt" hatten. Dies sei auch möglich, wenn der betreffende Patient, statt des Baders Werkstatt aufzusuchen, in Gasthöfen logiere oder sich bei anderen ehrlichen Leuten

aufhalte.

Welche Formen solche 'zünftigen' Konflikte annehmen konnten, veranschaulicht eine Episode aus dem Dreißigjährigen Krieg, auf die ich bei Studien alter Manuskripte im Leipziger Stadtarchiv stieß. Ursprünglich vom Böttcher Christoph Frantz am 28. Februar 1647 als Klageschrift an den Rat der Stadt gerichtet, evoziert sie in ihrer Plastik und Drastik die Erzählungen Grimmelshausens. Sie belegt zugleich, daß die Ordnungspolitik der Barbierzunft die Wahlmöglichkeiten der Kundschaft erheblich einschränkte.

Frantzens Frau hatte in der linken Brust einen "gleichsam tödlichen Schaden" erlitten. Dies war eigentlich ein typischer Fall für Barbiere. Doch die Medikamente des Obermeisters halfen nicht, und die Schmerzen wurden so schlimm, daß sie weder tags noch nachts ruhen konnte. Nun fügte es sich, daß sie als Anstandsdame mit zu einem Heilbrunnen reiste. Das bei dieser Gelegenheit genommene Bad jedoch verschlimmerte ihren Zustand, und auch der dortige Bader riet ihr davon ab, ins Wasser zu steigen. Stattdessen gab er ihr ein Mittel, durch das sie erstmals eine Linderung der Schmerzen verspürte. Kein Wunder, daß ihr Vertrauen zur Barbierzunft ins Wanken geriet. Zurück in Leipzig aber war sie wegen der Innungsordnung gerade diesen Leuten ausgeliefert, und so entfaltete sich eine schaurige Tragödie.

Der Obermeister Barthel Apelen war ein handfester Mann. Als sie seine Barbierstube aufsuchte, griff er ihr bei der Besichtigung des Schadens derart an die Brust, das ihm die Milch in die Hand lief. Darauf hin habe er ihr befohlen, so der Ehemann, nach Hause zu gehen, um ein Nößel Kuhmilch zu besorgen. Er kam dann mit dem Gesellen nach und machte ihr ein Pflaster aus dieser Milch und anderen Zutaten. In den folgenden zwei Wochen erschien zweimal täglich der Geselle, um das Pflaster zu wechseln. Dabei legte er das neue oft derart heiß auf, daß sie schrie und die Brust ganz braun wurde. Tag und Nacht habe sie gewinselt, weder essen noch trinken können und sei darüber ganz krumm geworden. Nach diesen vierzehn Tagen stand eigentlich der versprochene Besuch des Meisters an. Den aber hatte das Zipperlein geschlagen, und so lag die arme Frau von Sonnabend bis Montag unverbunden im Bett und wußte vor Schmerzen nicht mehr ein noch aus. Als Apel dann endlich erschien, fielen wenig tröstliche Worte: "Wenn ich wehre als mein Gesell gewesen, ich hette längst von dieser Brust abgelaßen, ich weiß der brust nichts abzuheilen, ich wolte, das ich euere brust nie gesehen hette, So iung ihr seid, so mußet ihr doch euer leben davon aufgeben". Sprach's, setzte sich einen Augenblick und ging dann, ohne sie zu verbinden, ohne Gruß, auch ohne Andeutung, ob er wieder kommen werde, schweigend "wie eine Katze von dem Tauben hauße".
Nach dieser Flucht sah sich der Ehemann mit Fug und Recht nach besserem Beistand um. Weil er den Bruder des Baders in der Burgstraße kannte, bat er in der vierten Nacht um einen Besuch. Der riet, man solle einen guten Barbier suchen. Denn wenn innerhalb zweier Tage nichts geschehe, würde es wohl um sie geschehen sein. Da die gepeinigte Frau mittlerweile aber von Barbieren nichts mehr wissen wollte, ersuchte er am folgenden Tag den besagten Bader erneut um Hilfe. Der ließ sich schließlich erweichen und legte einen Verband an, worauf die Brust von selbst aufging, was ihr eine starke Linderung der Schmerzen verschaffte. Binnen kurzem konnte sie sich wieder aufrichten, essen und trinken. Die Heilung machte gute Fortschritte, ja bald hätte sie wieder "dem gehör göttliches Wortts in der Kirchen beiwohnen können"

Indes hatten die Barbiere von dieser Sache Wind bekommen. Als eines Abends der Badergesell wieder am Bett der Genesenden stand, brachen plötzlich zwei Barbiergesellen nebst einem Feldscher in die Wohnung ein, fielen über ihn her und schlugen ihn mit Fäusten ins Gesicht, "daß ihm Maul und Nase geschweißet, auch das Blut auf den Tisch gesprungen". Dann stießen sie ihn an den Ofen und rissen das Verbandszeug an sich. Schließlich setzte ihm der Feldscherer unter den Worten "Du hund itzt will ich dir deinen rest geben" den Degen auf den Leib, und wären die Frau und die Magd nicht dazwischen gegangen, so hätte er den geschundenen Kerl noch ermordet.

Seine Frau, klagt Christoph Frantz weiter, habe sich dabei dermaßen erregt, daß es ihr auch in die gesunde Brust schoß und an der bösen Brust aufs Neue drei Löcher aufgesprangen. Auch sein Kind sei von dem Tumult sterbenskrank geworden. Er sehe unter den beschriebenen Umständen keinerlei Verstoß gegen der Barbiere Handwerksgewohnheit und Zunftordnung, der er ja nicht unterworfen sei. Wie könne man verlangen, daß die Seinigen nur um dieser unter Barbieren geltenden Artikel willen höchste Lebensgefahr und Schmerzen ausstehen müßten. Dazu kämen der Frevel, "Vergewaltigung", Schlagen, Hausfriedensbruch, "Realinjurien" und Wegnahme des Verbandszeugs. Niemand dürfe in eigener Sache Richter sein. Man solle einem anderen zugestehen, das, was er mit Gottes Hilfe gelernt und erfahren habe, seinem Nächsten angedeihen lassen könne, gleichwie der barmherzige Samariter. Vom Obermeister Apelen und dessen Gesellen verlangte Frantz wegen der durch sie verursachten Verwahrlosung die Erstattung der Behandlungskosten, die dem Badergesellen Christoph zu entrichten seien. Weiter die Rückgabe des Verbandszeugs und Bestrafung wegen Hausfriedensbruch bis hin zur Barbierinnung, falls diese das angestiftet haben sollte. Er könne sich nicht vorstellen, daß die Gesellen als Ortsfremde und noch nicht im Meisterrange eine solch unverantwortliche Tat aus eigenem Antrieb begingen. Man möge sie solange mit "gefangknüs" anhalten, bis sie samt ihrem Handwerk gewährleisteten, daß weder ihm noch dem Badergeselle Gewalt angetan würde. Dies gelte insbesondre für den Feldscherer, der erst vier Tagen zuvor, als er frühmorgens an Frantzens Werkstatt vorüberritt, habe verlauten lassen, es sollten ihm und dem Badergesellen der Donner und Hagel in die Köpfe schlagen. Auch habe er ihm mit aufgereckter Hand gedroht und sei mit dem Pferd vor der Werkstatt hin und hergeritten.

Wie immer solche Streitigkeiten ausgingen, der größere Haufen, und das waren die Barbiere, steuerte letztlich die Richtung. Ende August 1648 gelangten Bürgermeister und Stadtrat zur Ansicht, daß in Leipzig das "Stöhren und [die] Eingriffe in die Wundtartzney" allzu gemein würden. Auswärtige und krumme Barbierer, Feldscher und dergleichen, die sich nicht in wirklichen Diensten des lokalen Handwerks befänden oder der Innung angehörten, fremde Steinschneider, Okulisten, Theriaksrühmer, Zahnbrecher, Salbenmänner, Segenssprecher, Kindermütter, alte Weiber, Muhmen und dergleichen gemeines Weibsvolk, welche das Handwerk nicht gelernet, würden alle ohne jede Scheu solche "Störungen" in der Stadt und den Vorstädten treiben. Dadurch reiße man den Barbieren das Brot vom Munde weg. Diese Störer und Pfuscher werde bei Strafe und Beschlagnahme der Instrumente befohlen, sich aller Arm- und Beinbrüche, verrenkten Gliedern, allen Verbindens und Heilens der frischen Wunden und anderen Störens in der Wundarznei in der Stadt Leipzig zu enthalten.' Immerhin achtete man auch unter Innungsgenossen gelegentlich auf das Niveau. So ließen sich 1626 die Leipziger Barbiere und Chirurgen, weil Mißtrauen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten aufgekeimt war, von der medizinischen Fakultät ihr Können und ihre Zuverlässigkeit durch ein prachtvolles Zertifikat mit Siegel bescheinigen. Langjährige Auseinandersetzungen zwischen den Barbieren und David Weissmüller, Chirurg und Pachtinhaber der Ranstedter Badestube zeigen, daß man nötigenfalls sogar gegen Kollegen vorging.