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Medizin in Japan

Ciba-Zeitschrift Apr.1935 Nr.20

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Die Entwicklung der japanischen Medizin


Ein Abriss von Professor Dr. med. et liter. Y. Fujikawa

Inhalt:

I. Die mythische Zeit

Es existieren eigentlich nur drei Quellen, auf denen im wesentlichen unsere ganze Kenntnis der mythischen Zeit in Japan beruht: das Kojiki, d.h. Chronik des Altertums, das Nihongi, d.h. japanische Annalen, und die Fudoki, d.h. Beschreibungen der Provinzen. Natürlich findet man in ihnen nur wenige Angaben über die Heilkunde dieser Periode, doch sehen wir, dass vor allem zwei Götter, nämlich Onamuji-no-Mikoto und Sukunabikona-no-Mikoto die Kunst, Krankheiten zu heilen, erfunden haben sollen.
Die Therapie dieser Zeit ist rein theurgisch empirisch. Die Krankheiten sind das Werk der Götter, man bezeichnet sie als Kami-no-Ke (Geist der Götter). Sie konnten aber auch ein Werk der bösen Geister sein oder durch den Einfluss der Dämonen hervorgerufen werden. Aber nicht nur göttliche oder dämonische Einflüsse verursachten Krankheiten, auch durch andere Faktoren, wie z.B. Unzucht oder Nachlässigkeit, konnten sie entstehen. Entsprechend diesen Anschauungen waren Opfer, Gebete, Beschwörungen, Zaubersprüche usw. die Hauptabwehrmittel gegen krankmachende Einflüsse. Die innerliche Anwendung von Medikamenten kam erst in späterer Zeit auf. Die Chirurgie scheint kaum entwickelt gewesen zu sein. Offene Wunden behandelte man durch Aufstreuen von gepulverten Gräsern (Seggen), Brandwunden mit dem Saft der Venusmuschel. Der Aderlass scheint den Heilkundigen dieser Zeit bekannt gewesen zu sein; Mineralbäder und Wassergüsse wurden häufig angewandt.

II. Bis Zur Nara-Zeit (97 v. Chr. bis 709 n. Chr.)

Es steht ausser Zweifel, dass die Japaner schon im sogenannten Götterzeitalter auf der koreanischen Halbinsel gewesen sind. Mit den Chinesen sollen sie schon zur Zeit der Chou-Dynastie (um 1500 v. Chr.) verkehrt haben. Aber die offiziellen Beziehungen zwischen den Japanern und den kontinentalen Nachbarn beginnen erst im 65. Regierungsjahre des Kaisers Sujin (35 v.Chr.), in dem das Königreich Mimana auf Korea einen Gesandten an den Kaiserlichen Hof in Yamato schickte. Von dieser Zeit an drangen die kontinentalen Künste und Wissenschaften immer mehr in Japan ein und gewannen auf seine kulturelle Entwicklung einen bedeutenden Einfluss.
Schon früher (219 v.Chr.) unter Kaiser Korei kam nach einer japanischen Quelle der Chinese Jofuki aus Tsing auf der Suche nach einem Mittel, das Unsterblichkeit verschaffen sollte, nach Japan. Unter seinen Reisegefährten sollen sich auch einige Ärzte befunden haben. Aber öffentlich wurde ein fremder Arzt zum ersten Mal erst zur Zeit der Dynastie Inkyo bei einer Krankheit des Kaisers hinzugezogen. Im 15. Jahre des Kaisers Kimmei (52 n.Chr.) wanderten der Arzt Ôyû Ryoda und die Apotheker Han-Ryôhô und Tei-Yûda von Pekche aus und kamen nach Japan. Sie brachten verschiedene Arzneimittel aus Korea mit und bald breitete sich die koreanische Medizin in Japan aus.
In jener Zeit kam auch der Buddhismus von Korea nach Japan, er führte zu einem ungeheuren Umschwung im Leben und Denken des Volkes und die buddhistischen Lehren drangen in aller Herzen ein. Um von einer Krankheit zu genesen, betete man jetzt zu Buddha und so kam es, dass manche buddhistischen Priester zugleich als Ärzte tätig waren. Da die von den koreanischen Priestern mitgebrachten buddhistischen Schriften in chinesischer Sprache verfasst waren musste jeder, der in die Buddhalehren eindringen wollte, chinesisch lernen. Zahlreiche junge Männer wurden in der Folgezeit auf Staatskosten nach China gesandt, um sich hier in den Wissenschaften auszubilden und so begann der eigentliche Einfluss der chinesischen Wissenschaft und Kultur auf Japan. So drang auch, anfangs indirekt über Korea, dann aber direkt von China aus die chinesische Medizin in Japan ein und führte zu einer weitgehenden Änderung in der bis dahin in Japan ausgeübten Heilkunde.
In dem im 2. Jahre der Taihô-Aera (702 n.Chr.) vom Kaiser Mommu abgefassten Gesetzbuch, „Taihô - Ryô“, finden sich auch Vorschriften über das Medizinal- und Unterrichtswesen, die analog den Einrichtungen der Tang-Dynastie ausgearbeitet waren. Nach diesem Gesetzbuch wurden die medizinischen Schulen ebenso wie die Schulen für andere wissenschaftliche Gebiete in eine Hochschule und in Provinzschulen gegliedert. Die medizinische Hochschule gehörte zur Medizinalbehörde des Hofministeriums und hatte fünf Abteilungen und zwar für: Arzneikunde, Akupunktur, Massage, Beschwörung und Pharmakologie. Die Abteilung für Arzneikunde wies folgende Fachzweige auf: Tairyô (Innere Medizin), Sôshu (Chirurgie), Shôsô (Kinderheilkunde), ji-Moku-Kô-Shi (Ohren-, Augen-, Mund- und Zahnheilkunde).

III. Die Nara-Zeit (710 bis 784)

Unter dem Einfluss des Kaiserlichen Hofes breitete sich der Buddhismus immer rascher aus. Seine Priester waren die Förderer des geistigen und materiellen Wohls des Volkes, so wie es die christlichen Mönche des Mittelalters in Europa gewesen waren. Auch auf medizinischem Gebiete haben die Priester einen grossen Einfluss ausgeübt, denn viele von ihnen beschäftigten sich mit der Krankenbehandlung. Die Gründung eines Krankenhauses in dieser Zeit ist ebenfalls auf den Einfluss des Buddhismus zurückzuführen. Schon im 2. Jahre der Tempyô-Aera (730 n.Chr.) wurde auf Befehl der Kaiserin Kômyô ein Krankenhaus für Arme errichtet.

IV. Die Heian-Zeit (784 bis 1186)

Im Anfang dieser Periode stand Japan ebenso wie in der vergangenen Periode mit China in lebhaftem Verkehr. Da man bei allen Gesetzen und Einrichtungen das Vorbild Chinas, das damals von der Tang-Dynastie regiert wurde, nachzuahmen suchte, so fand auch die chinesische Medizin immer mehr Eingang in Japan.
Die japanische Medizinliteratur hatte damals schon eine Anzahl nennenswerter Werke aufzuweisen. Es seien erwähnt die Daidô Ruijûhô, 100 Bände (808 nach Chr.) und Kinranhô, 50 Bände (868 n.Chr.). Leider sind diese Werke verloren gegangen. Das Ishin-hô, das im 5. Jahre der Tengen-Aera (982 n.Chr.) von Yasuyori Tamba verfasst wurde und aus 50 Bänden bestand, ist das älteste der noch jetzt erhaltenen alten medizinischen Bücher Japans. Es besteht hauptsächlich aus Zusammenstellungen an alten chinesischen Klassikern, zu denen daher auch eigene Bemerkungen und Beobachtungen des Verfassers hinzukommen. Der Inhalt ist folgender: a) Allgemeines; b) Akupunktur; c) Fû-byô (Krankheiten des Pneumas); d) Krankheiten der Eingeweide; e) Hautkrankheiten; f) Augen-, Ohren- und Zahnkrankheiten; g) Krankheiten der Hände und Füsse; h) Abszesse und Tumoren; i) Wunden; j) Kinderheilkunde; k) Gynäkologie und Geburtshilfe; 1) Hygiene; m) Bo-nai (Sexualhygiene); n) Diätetik; o) Arzneimittel. Das Werk ist also eigentlich nur ein Sammelwerk mehrerer medizinischer Zweigwissenschaften, man sieht aber aus ihm, wie die medizinische Wissenschaft sich in Japan gegliedert und entwickelt hat.

V.Die Kamakura-Zeit (1187 bis 1333)

Das Aufblühen der Medizin in der Heian-Periode ist, wie in der vorhergehenden Nara-Periode, ausschliesslich den Entlehnungen aus der Tang-Medizin zuzuschreiben. Dagegen weist die Medizin der Kamakura-Periode verhältnismässig grosse selbständige Fortschritte auf, obwohl man damals immer noch China als Stammland der Medizin verehrte. Mannanhô, welches von Shôzen Kajiwara in der Shôwa-Aera (1314 n Chr.) verfasst wurde und aus 62 Bänden bestand, ist als wichtige medizinische Literatur in dieser Zeit zu erwähnen. Das Fundament dieses Werkes bildeten die chinesischen Werke der Sung-Dynastie, aber es besteht nicht lediglich aus Exzerpten und Zusammenstellungen aus den chinesischen Klassikern, sondern bringt häufig eigene Urteile des Verfassers, weist sogar kritische Stellen auf, in denen die Autorität der alten chinesischen Schriftsteller angefochten wird.

VI. Die Muromachi-Zeit (1334 bis 1568)

Da man in den ersten sieben Jahrzehnten dieser Periode in der Residenzstadt keinen nennenswerten Aufstand erlebte und sich des Friedens erfreuen konnte, so konnten sich Architektur, Malerei, Bildhauerei und andere Künste stark entwickeln. Aber in der folgenden Onin-Aera waren innere Unruhen und Bürgerkriege an der Tagesordnung. Dabei gingen Adelshäuser und Tempel allenthalben in Flammen auf. Die angesammelten Bücher und Kunstschätze wurden meistens vernichtet. Trotz diesem allgemeinen Wirrwarr reisten viele Bonzen nach China zum Studium des Konfuzianismus und der Heilkunde. Sie brachten die Medizin der Ming-Dynastie nach Japan.

VII.Die Azuchi-Momoyama-Zeit (1569 bis 1615)

Sie umfasst nur etwa 50 Jahre, dennoch nimmt sie für Japan in der Geschichte der Politik und der Wissenschaften einen sehr wichtigen Platz ein, denn es wurde eine das Volkswohl befördernde Politik angestrebt, und zudem fand das Christentum in Japan Eingang, in dessen Gefolge europäische Wissenschaften, besonders die Heilkunde nach Japan gelangten. Die Verfasser der chinesischen Werke, auf welchen die damalige japanische Medizin basierte, waren seiner Zeit berühmte Ärzte der Kin- und Yuen-Dynastien. Sie waren über die Pathogenese der Krankheiten gänzlich anderer Meinung als die Ärzte der vorhergegangenen Periode. So nahm man damals an, dass die Hauptursache der Krankheiten auf äussere und innere Faktoren zurückzuführen sei. Von den äusseren Einflüssen sollten Feuchtigkeit und Hitze die wichtigsten sein, während früher in der Pathologie der Tang-Dynastie das Pneuma und die Kälte eine Hauptrolle spielten. Als innere Faktoren betrachtete man die Konstitution, Ernährungsstörungen, Affekte und körperliche Anstrengungen.
Als hervorragende Mediziner dieser Zeit sind unter anderen Dôsan Manase und Tokuhon Nagata zu nennen: Dôsan Manase ist der Hauptrepräsentant der damaligen japanischen Medizin. Ihm verdankt die sogenannte Li-Chu-Schule in Japan ihren Glanz.
Die Portugiesen, von den Japanern zu jener Zeit als „Nambanjin", d.h. südliche Barbaren bezeichnet, landeten in der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts in Japan. Im 11.Jahre der Temmon-Aera (1542 n.Chr.) wurden diese „Nambanjin" nach der südlichen Insel Tanegashima verschlagen, kamen jedoch später Jahr für Jahr, meist nur mit einem Schiffe, um Handel zu treiben an die japanischen Küsten. Als sich schon allmählich ein lebhafter Verkehr zwischen Portugiesen und Japanern entwickelt hatte, landete im August 1549 der bekannte Franciscus Xavier in Kagoshima auf der Insel Kyûshû, um das Christentum in Japan zu verkünden. Die Anstrengungen dieses Mannes und seiner Nachfolger erwiesen sich als höchst erfolgreich. Besonders bemerkenswert ist es, dass sich unter den damaligen Jesuiten heilkundige Männer befanden. Als von dem Fürsten von Bungo, Otomo Sôrin, zu Funai ein Krankenhaus gegründet wurde, übernahm ein junger Arzt, Louis Almeida, ein Mitglied der Jesuitenmission, die unentgeltliche ärztliche Behandlung der Kranken. Er ist als der erste europäische Arzt in Japan anzusehen. Im 11. Jahre der Eiroku-Aera (1568 n.Chr.) wurde auf Befehl von Nobunaga Oda, der anstelle des Shôguns die Regierungsgewalt ausübte, eine Kirche „Nambanjin", d. h. Kirche der Südbarbaren, zu Kyôto gebaut. Zwei Ärzte dieser Kirche, Louis und Gregoria, gründeten Krankenhäuser, behandelten die Armen, besonders die Aussätzigen, und führten auch mit grossem Erfolge Operationen aus. Erwähnenswert ist noch die Lehrtätigkeit der oben genannten ärztlichen Missionare, die für unser ganzes Reich grosse Bedeutung gewann. Mit Recht kann man diese Männer als die Begründer der Namban-ryû-Geka, d.h. der Chirurgie der Südbarbarenschule bezeichnen. Weil sie hauptsächlich Chirurgie betrieben und lehrten, wurde die von ihnen eingeführte europäische Behandlungsmethode so genannt.
Von den hervorragenden Vertretern dieser Schule sei vor allem Chûan Sawano genannt, ein portugiesischer Arzt, dessen eigentlicher Name Christophan Fereirra war. Nächst Sawano sei Jun-an Handa erwähnt. Ferner seien als besonders bedeutend hervorgehoben: Kichibei Nishi; Chûkei Sugimoto; Ansai Yoshida; Dôki Kurisaki und Gensen Yamamoto usw.

VIII. Die Edo-Zeit (1616 bis 1867)

Im Anfang dieses Zeitabschnittes wurden Kunst und Wissenschaft sowie alle literarischen Bestrebungen gefördert. In erster Linie zeigte sich eine Wiederaufnahme der chinesischen Studien. Sehr bedeutend waren für Japan die Arbeiten der Sung-Philosophen, der Erneuerer des Konfuzianismus. Parallel mit der Wiederherstellung des Urkonfuzianismus wurde auf dem medizinischen Gebiete auch das Studium der alten chinesischen Werke gefördert. Der Begründer dieser Schule war Gen-i Nagoya. Er betrachtete die Medizin der Kin- und Yuen-Dynastie, weil auf dem System der Sung-Philosophie basierend, als eine Verderberin der alten chinesisch-medizinischen Lehren. Infolgedessen wurden die Werke von Chang-Chung-Ching aus der Tang-Dynastie, besonders das Shanhan-Lun, als Fundamentalwerk wieder sehr hoch geschätzt. Auf diesem alten Werke fussend, begründete man eine Schule Ko-i-hô, d. h. alte echte Medizinschule.

Ko-i-hô, die alte echte Medizinschule

Da diese Abhandlung sehr kurz gehalten werden musste, so müssen wir natürlich davon absehen, den damaligen Stand dieser medizinischen Schule hier ausführlich darzustellen. Es sei aber gestattet, folgende Punkte kurz hervorzuheben.
Die neue Schule „Ko-i-hô" wird durch die Lehre von Gonzan Gotô (1659 bis 1733) charakterisiert. Nach dieser Lehre sind die Krankheiten auf Störungen in der Zirkulation der Lebenskraft zurückzuführen. Die Lebenskraft soll mit dem Pneuma, das in der Welt vorhanden ist, vollkommen identisch sein. Durch Kälte, Wind, Hitze, Feuchtigkeit, Ernährungsstörungen und Affekte wird die Zirkulation dieser Lebenskraft gestört. Daraus erhellt, dass man bei der Behandlung der Krankheiten versuchen muss, diese Zirkulationsstörungen zu beseitigen. Zu diesem Zweck hat Gotô den Gebrauch der Leber des Bären, roten Pfeffer, sodann Moxibustion, endlich Mineralbäder empfohlen. Shûan Kagawa, einer der berühmtesten Schüler des Gonzan Gotô, verfasste ein umfangreiches Buch über Pathologie: Kôyoigen. Er publizierte auch ein Werk über Pharmakologie, Yaku-Sen, in dem er auch die erfolgreiche Anwendung der Massage und der Mineralbäder beschreibt.
Tôdô Yoshimasu (1702-1773), ein sehr angesehener Praktiker, begründete eine Lehre, nach der als Hauptursache aller Krankheiten das „Doku" (Gift) in Betracht kommt. Das „Doku" soll sich stets im Körper des Menschen vorfinden, aber erst dann krank machende Wirkung erlangen, wenn gewisse äussere Einflüsse auftreten. Getreu dieser Ansicht suchte Yoshimasu durch Laxantia, Vomitiva und Hidrotica die Entfernung etwaiger Gifte herbeizuführen.
Nangai Yoshimasu (1750-1813), der Sohn des eben Genannten, ist der Begründer der sogenannten Pneuma-Blut-Wasser-Lehre. Nach dieser Theorie sollen Pneuma, Blut und Wasser, die sich stets im Körper vorfinden, durch das „Doku" beeinflusst werden und so Funktionsstörungen zustande kommen. Im Grunde genommen handelt es sich beim Nangai Yoshimasu' schen System im wesentlichen nur um eine Modifikation der Lehre des Tôdô Yoshimasu.
Als bedeutender Arzt dieser Schule ist Gen-etsu Kagawa zu erwähnen. Er ist der Verfasser eines Werkes über Geburtshilfe, San Ron, das aus zwei Bänden besteht und 1765 erschien. Später wurde eine Erweiterung dieses Werkes San Ron Yoku von Genteki Kagawa publiziert (1775). Tatsächlich hat die Geburtshilfe in Japan durch Kagawa eine selbständige, von chinesischen Einflüssen unabhängige Entwicklung genommen.

Die Einführung der europäischen Medizin in Japan

Nachdem den Europäern bekannt geworden war, dass die Portugiesen einen äusserst vorteilhaften Handel mit Japan betrieben, suchten die damaligen seefahrenden Nationen, die Spanier, Engländer und Holländer ebenfalls mit Japan Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Aber nur die Holländer, welche im z. Jahre der Keichô-Aera (1597 n.Chr.) auf der Insel Hirado an der Westküste von Kyushu landeten, erhielten die Erlaubnis zum freien Handel. Später, im 18.Jahre der Kanei-Aera (1641 n.Chr.), nahmen sie ihren festen Wohnsitz in Deshima bei Nagasaki und errichteten so die erste europäische Niederlassung in Japan. Als diese dann mit der ostindischen Handelsgesellschaft in Verbindung gebracht wurde, entwickelte sich der Handelsverkehr zwischen Holland und Japan recht lebhaft. Obgleich während dieser Zeit der Shôgun durch strenge Gesetze jeden anderweitigen Verkehr mit den Ausländern bei Todesstrafe verboten hatte, erhielten doch die Oranda-Tsûji, d.h. die japanischen Dolmetscher auf der holländischen Faktorei die Erlaubnis, mit den holländischen Ärzten in Verbindung zu treten, um ihre medizinischen Kenntnisse zu bereichern. Auch machten sich die holländischen Ärzte durch ihre Arzneikunst und einigen Unterricht in Mathematik, Astronomie usw. den Dolmetschern nützlich, um dafür deren Unterstützung zur Erforschung des Landes zu erhalten. Überdies begleitete der Arzt den holländischen Gesandten, wenn dieser alljährlich den Hof des Shôguns in Yedo, seinem Befehl zufolge, besuchte. Während seines Aufenthaltes in Yedo musste der holländische Arzt täglich mit den japanischen Hofärzten sprechen, die allerlei Fragen an ihn stellen liessen. Auf diese Weise befand sich sowohl in Nagasaki wie in Yedo gewissermassen ein Eingangstor, durch das die europäische Medizin ihren Einzug in Japan halten konnte.
Zu den berühmtesten Ärzten der holländischen Faktorei in Deshima zu dieser Zeit gehörte ein deutscher Arzt, Caspar Schambergen, der im Dienste der Holländisch-Ostindischen Kompagnie im 2. Jahre der Kei-anAera (1641) nach Japan kam.
Welche Bedeutung dieser Arzt für die japanische Heilkunde gewann, geht daraus hervor, dass seine Schüler und Nachfolger eine Schule der Chirurgie Caspar-ryû-Geka, d.h. Caspar'sche Schule der Chirurgie gründeten. Diese Schule der holländischen Heilkunde spielte neben der oben erwähnten Nambanryû-Geka im 17. Jahrhundert eine bedeutende Rolle.

Oranda-ryû–Geka (Chirurgie nach der holländisch-medizinischen Schule)

Ausser dem berühmten Caspar Schamberger seien noch folgende Ärzte der Holländer genannt: W. ten Rhyne (kam 1674 nach Nagasaki); Andreas Cleyer aus Cassel (1675); Engelbert Kaempfer aus Lemgo (1690); Hoffmann (1698); Pieter Kesteloat (1702); Willem Wagemans (1717); Johannes Thedens (1723); Von Ketelaar (1725); David Drinkmann (1728); Filipp Pieter Musculus (1738); Carolus Petrus Thunberg aus Jönköping (1775); Ambrosius Lodewyk Bernhardt Keller (1793); Hermann Letzke (1797) usw.
Gleich wie ihre Vorgänger unterrichteten diese Ärzte während ihres Aufenthaltes in Deshima als Ärzte bei der holländischen Handelskompagnie im Orient hauptsächlich die Dolmetscher in der europäischen Heilkunde. Nachdem einige Dolmetscher in dieser Weise die europäische medizinische Kunst erlernt hatten, wurden sie zu Ärzten ernannt und fügten ihren Namen die Bezeichnung bei: Oranda-ryû-Geka, d. h. Chirurgie nach der holländischen medizinischen Schule.

Die europäische Heilkunde in Japan umfasste während dieser Zeit nicht die gesamte Heilkunde sondern vorwiegend die Chirurgie. Auch durften damals die Japaner holländische Bücher nicht lesen, wegen des strengen Verbots, auf dessen Übertretung die Todesstrafe stand, ebenso war ihnen der Besitz holländischer Bücher untersagt. Unter solchen Umständen kann es daher keine Verwunderung erregen, dass die Oranda-ry– Geka oder die Chirurgie der holländischen Schule während langer Zeit in einem recht traurigen Zustand war, da die Heilkunde sich fast ausschliesslich in den Händen der Dolmetscher und anderer Laien befand.

Ran Gaku

Der Shôgun Tsunayoshi, der achte Herrscher der Tokugawa-Dynastie, glaubte, Holland sei das einzige Land, in dem die Wissenschaft, vor allem die Himmels und Heilkunde, in voller Blüte stehe; deshalb erlaubte er im 5.Jahre der Kyôhô -Aera (1720 n.Chr.) die Einführung holländischer Bücher und Schriften und förderte den innigen Anschluss der japanischen Wissenschaften an die holländischen immer energischer. Charakteristisch dafür ist, dass der Hofbibliothekar Bunzô Aoki und der Hofarzt Genô Noro auf Befehl des Shôguns die holländische Sprache erlernen mussten.
Man stellte sich die grosse Aufgabe, ein System zu schaffen, die holländische Schriftsprache lesen und verstehen zu lernen. Zu den epochemachenden Leistungen auf diesem Gebiete gehören diejenigen der gelehrten Ärzte zu Yedo. Vor allem ist hier der glänzende Name von Ryô taku Mayeno, eines Schülers von Bunzô Aoki, zu erwähnen. Unter Aoki erlernte er das holländische Alphabet und nur etwa 500 Vokabeln. Infolge seines Verlangens, das Holländische noch weiter zu erlernen, unternahm Mayeno eine Reise nach Nagasaki. Seine Lehrer Nishi und Yoshio, die damals gelehrte Dolmetscher waren, konnten jedoch nichts weiter tun, als dem berühmten Arzt nur ungefähr weitere 200 Vokabeln beizubringen. Dann kehrte er wieder nach Yedo zurück, Ohne Beihilfe eines Lehrers begann er das Studium der holländischen Sprache. Seine Überzeugung von der Überlegenheit der holländischen Heilkunde wurde noch durch folgenden Zufall verstärkt: Am 4. März im 8.Jahre der Meiwa-Aera (1771 n.Chr.), wohnte Mayeno der Sektion einer hingerichteten Japanerin zu Kotsukappara bei Yedo mit seinen Kollegen Gempaku Sugita, Hoshû Katsuragawa und Jun-an Nakagawa bei. Als diese Gelehrte dann Vergleiche zogen mit den Abbildungen in den anatomischen Tabellen von Johann Kulmus, welche Mayeno in Nagasaki und zugleich Sugita in Yedo gekauft hatten, überzeugten sie sich davon, dass die Lage und Beschaffenheit der inneren Organe ganz genau mit den Beschreibungen in den holländischen Büchern übereinstimmten und dass die Behauptungen und Beschreibungen der alten chinesisch-japanischen Werke vollständig unrichtig waren. Diese Beobachtung machte auf den Geist dieser Gelehrten einen tiefen Eindruck. Sie fassten daher sogleich den Plan zur Übersetzung des anatomischen Werkes, eine schwierige Aufgabe, die niemand bis dahin systematisch in Angriff genommen hatte. Das hat sie so viel Mühe gekostet, dass sie vier Jahre daran gearbeitet haben und das Werk 11 mal schrieben, ehe sie damit zufrieden waren. Im 4.Jahre der An-ei Aera (1774 n.Chr.) wurde dieses erste ins japanische übertragene anatomische Werk unter dem Titel Kaitai Shinsho, d.h. ein neues Werk über Anatomie, veröffentlicht. Das neue anatomische Werk ist eine für die japanische Medizin und zwar für alle Zweige dieser Wissenschaft epochemachende grundlegende Arbeit. Die Leistungen der genannten Gelehrten und ihrer Anhänger hatten naturgemäss weitere Fortschritte zur Folge. So wurde eine Methode, die holländische Schriftsprache lesen und verstehen zu lernen, ausgearbeitet. Dies ist die sogenannte Ran Gaku, d. h. wörtlich „Die Wissenschaft von Holland". Sie schuf eigentlich erst die Basis für die Entwicklung der europäisch-medizinischen Wissenschaft in Japan.

Im Folgenden soll nun kurz berichtet werden, wie sich dieser Fortschritt in Bezug auf die einzelnen Zweige der Medizin ausgestaltete.

Anatomie

Der berühmte Arzt Tôyô Yamawaki in Kyôto hatte schon im 4. Jahre der Horeki-Aera (1784 n. Chr.) die Leichenöffnung praktisch ausgeübt und ein prachtvolles Werk Zô-Shi, d.h. Beschreibung der Eingeweide, veröffentlicht. Trotzdem konnten sich die Ärzte zunächst nicht von den chinesischen Ansichten über den Bau des menschlichen Körpers befreien. Dem neuen anatomischen Werk Kaitai Shinsho ist das Verdienst zuzuschreiben, zu dieser Zeit die Anatomie als Wissenschaft in der medizinischen Welt Japans zur Geltung gebracht zu haben. Wie tief die Spuren waren, die das neue Werk über Anatomie auf dem Boden japanisch-wissenschaftlicher Anatomie hinterliess, beweist ein Blick auf die Reihe glänzender Leistungen auf diesem Gebiete. Viele Gelehrte lernten durch selbständiges Studium die Anatomie kennen, sie sezierten verhältnismässig viele menschliche Leichen, wobei zu beachten ist, dass damals im allgemeinen nur die Sektion von Hingerichteten gestattet war. Wenngleich wir vom heutigen Standpunkt aus über die Werke dieser Gelehrten lächeln könnten, so bahnten sie damals doch eine Reform der anatomischen Kenntnisse in Japan an.
Auch die zwei Spezialzweige, die Akupunktur und die sogenannte Sei-kotsu-Jutsu, eine Lehre der chirurgischen Behandlung, die sich ausschliesslich mit Knochenbrüchen und -verrenkungen beschäftigte, wurden durch die Erweiterung der anatomischen Kenntnisse sehr gefördert und vertieft. Die Akupunktur ist ein ursprünglich chinesisch-japanisches Verfahren, bei welchem scharfe, aber sehr dünne Nadeln aus Silber, Gold oder Eisen an Stellen, wo die Nerven nahe an die Oberfläche treten, schmerzlos eingestochen werden - gegen Neuralgie, Krampf und allerlei Schmerzen. Da bei diesem Verfahren natürlich die Anatomie die Grundlage der Praxis bilden musste, so war eine Art der Anatomie der äusseren Formen, welche man „Kei-ketsu" nennt, schon seit den ältesten Zeiten ausgebildet. Sie wurde durch die Einführung der wissenschaftlichen Anatomie entscheidend beeinflusst. Den Beweis dafür liefern die Werke Kotsu-Kyô und Naikei Biran, von Sôtetsu Ishizaka verfasst, denn die darin enthaltenen anatomischen Kenntnisse sind den europäischen Fachwerken entnommen.
Besonders bemerkenswert ist das Werk von Bunken Kagami, das Seikotsu Shinsho, denn in ihm werden die Knochen und Bänder nach den eigenen Beobachtungen des Verfassers ganz genau beschrieben. Als Hauptvertreter dieser Richtung ist noch bedeutender Ryôetsu Hoshino, der, nachdem er zuerst viele Sektionen gemacht und die Beschaffenheit der Knochen genau studiert hatte, ein künstliches Skelett aus Holz anfertigte. Später hat auch Bunken Kagami ein künstliches Skelett aus Holz hergestellt, das ebenso ausgezeichnet gearbeitet war wie das Skelett Hoshinos.

Physiologie

Erst im 3.Jahre der Tempô-Aera (1836 n.Chr.) wurde ein Buch über Physiologie von Chô-ei Takano herausgegeben, Igen Sûyô, zu deutsch: die Hauptgrundlage der Heilkunde. Der Inhalt dieses Buches gründet sich hauptsächlich auf die Werke von Blumenbach und Roose. Aus diesem Buche konnten die japanischen Ärzte zum ersten Male ihre Kenntnis der europäisch-wissenschaftlichen Physiologie schöpfen.
In den folgenden Jahren wurden Richerands „ Nouveau éléments de physiologie" von Genkyo Hirose und zugleich von Gempo Mitsukuri ins japanische übersetzt. Durch die Übersetzung der „Elementa physiologiae" von Adolph Ypeys, die im 3.Jahre der Ansei Aera (1856 n.Chr.) von Genkyo Hirose herausgegeben wurde, ist die Lehre von der Irritabilität Hallers den japanischen Ärzten bekannt geworden.

Innere Medizin

Das Hauptgebiet der japanischen Medizin, die innere Medizin, wurde erst durch die Übersetzung des Werkes von Johannes de Gorter stark beeinflusst. Sie wurde im 5.Jahre der Kansei-Aera (1793 n.Chr.) von Genzui Udagawa unter dem Titel Naika Sen-yo publiziert. Später wurden die Werke von Consbruch, Anton Stoerk, van Swieten, Boerhaave, Bischoff, Conradi, Lebert, Tissot und Canstatt ebenfalls ins japanische übertragen.
Philipp Franz von Siebold aus Würzburg wurde im 5.Jahre der Bunsei-Aera (1823 nChr.) als Arzt bei der Faktorei in Deshima angestellt. Seine Heilerfolge veranlassten, dass ihm als erstem Europäer das Recht eingeräumt wurde, in Nagasaki ärztlichen Unterricht zu erteilen und Praxis auszuüben. Er gründete eine Medizin-Schule zu Narutaki bei Deshima und bildete dort seine Schüler zu Ärzten aus. Später machte er auch Krankenbesuche in den Privat-Häusern von Narabayashi und Yoshio, wobei er seine Schüler am Krankenbett unterrichtete.
Von den Schülern Siebolds sind vor allem zu nennen: Seikai Totsuka, der berühmte Chirurg; Gemboku ltô, der berühmte Kliniker; Gendô Takenouchi, ebenfalls Kliniker; Genseki Habu, der berühmte Augenarzt usw.
Diese in der europäisch-wissenschaftlichen Medizin ausgebildeten Ärzte verwandten ihre Kenntnisse in der Praxis, während die Leistungen der übrigen und ihrer Vorgänger im allgemeinen nur auf theoretischem Gebiete lagen.
Zu dieser Zeit wurden die Werke des berühmten deutschen Arztes Christoph Wilhelm Hufeland übersetzt; sie gewannen einen grossen Einfluss auf die japanische Medizin. Hufelands „Enchiridion medicum" (1833, Berlin), das von Hagenmann ins Holländische übersetzt worden war, drang sofort in Japan ein. Kôan Ogata übersetzte einen Teil dieses Werkes, und zwar gerade den wichtigsten, den Hufeland mit dem Titel „Praxis" bezeichnet hatte, zuerst ins japanische und publizierte ihn im 14.Jahre der Tempô-Aera (1843 n.Chr.). Andere Teile des Werkes von Hufeland übersetzte Seikei Sugita und publizierte sie unter den Titeln Saisei Sampô "Die drei Kardinalmittel der Heilkunst" und lkai "Die Verhältnisse des Arztes". Hufelands Werk über Kinderheilkunde wurde von Sodô Horiuchi ins japanische übertragen. Ebenso wurden Hufelands Arbeiten über allgemeine Pathologie, Diagnostik und Vakzination von verschiedenen anderen Autoren ins japanische übertragen. So darf man wohl annehmen, dass der Name des grossen Hufeland durch seine wertvollen Schriften in Japan ebenso bekannt wurde wie in seinem Heimatland.

Chirurgie

Im Anfang der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts wurden das ins holländische übersetzte Werk von Ambtoise Pard in Japan eingeführt. Dieses Werk des berühmten französischen Chirurgen wurde von Yeikyû Narabayashi ins japanische übersetzt und unter dem Titel „Geka Sôden" im 3.Jahre der Hoei-Aera (1706 n.Chr.) veröffentlicht. Es war aber keine wörtliche Übersetzung, sondern eine Folge von Referaten aus jenem Buche. Der Eindruck des paarigen Werkes war jedoch in unserem Lande ein so gewaltiger, dass die damaligen Beschreibungen der europäischen Chirurgie fast nur auf diesem Werke fussten.
Wenn auch schon einiges aus der Technik der europäischen Chirurgie durch diese Werke den japanischen Ärzten bekannt geworden war, so gewannen sie doch eingehendere Kenntnisse erst durch das Yôi Shinsho, d.h. „Neues Werk über Chirurgie" von Gentaku Otsuki (1822 n.Chr.). Es ist dies eigentlich die Übersetzung eines Teiles des Werkes von Lorenz Heister, denn es gibt aus diesem die Einleitung wieder und die Kapitel über Operationen, Wunden, Verbandlehre, Aderlass, Knochenbrüche und -verrenkungen. Eine Übersetzung des „Compendium institutionum chirurgicarum" von Joseph Jacob von Plenck in Wien wurde im 3.Jahre der Tempô-Aera (1836 n.Chr.) unter dem Titel Yôka Shinsen von Kinchô Sugita publiziert, das war eigentlich das erste systematische Lehrbuch der europäischen Chirurgie. Um nicht zu ausführlich zu werden, möge nur noch als berühmtester Chirurg Erwähnung finden: Seishû Hanaoka (1760-1835). Früher hatte er die Heilkunst nach der Art der chinesischen Chirurgie ausgeübt. Dann hatte er aber einige japanische Übersetzungen holländischer Werke über Chirurgie studiert und nach ihnen operiert. Die Chirurgie Hanaokas stand auf einer sehr hohen Stufe. Unter den durch Hanaoka zum ersten Male ausgeführten Operationen sind zu nennen: in erster Linie Exstirpation von Tumoren, besonders von Brustkrebs; Amputation der Extremitäten, Cheiloplastik, Operation der Hydrozele, Zungenkrebs, Analfistel usw. Gegen Blutungen wurden Kompressen, örtliche Ligatur der Gefässe und Kauterisation in rationeller Weise angewandt.

Besonders wichtig ist seine Einführung der schmerzlosen Operationen durch die Narkose. Zur Betäubung benutzte Hanaoka eine Abkochung aus fünf Kräutern in Getränkform: Akonitum, Datura alba, Angelica, ligusticum, Canoselium. Man liess sie ein paar Minuten stehen und trank den Abguss nüchtern.
Genchô-Homma, der ausgezeichnete Schüler des oben genannten Chirurgen, der später unter Siebold seine chirurgische Kunst weiter ausgebildet hat, erwarb sich um die operative Seite der Chirurgie bedeutende Verdienste. Sein grossartiges chirurgisches Werk Yôka Hiroku, welches aus 19 Bänden besteht, veranlasste den Aufschwung der japanischen Chirurgie.

Augenheilkunde

Durch die japanische Übersetzung der „Lehre von der Augenheilkunde" von Plenck ist die europäische Augenheilkunde zuerst den japanischen Ärzten bekannt geworden. Dieses neue ophthalmologische Werk, welches von Kinchô Sugita ins japanische übertragen und im 12.Jahre der Bunka-Aera (1815 n.Chr.) herausgegeben wurde, ist betitelt Ganka Shinsho, „Neues Werk über Augenheilkunde". Hiernach wurde das Ganka Kinnô von Fuichi Honjô veröffentlicht. Dieses Werk lesen wir mit dem grössten Interesse, weil sich darin ein Vergleich zwischen den Ansichten der europäischen und chinesischen Augenheilkunde in bezug auf Theorie und Praxis findet.
Von grossen Ophthalmologen dieser Zeit seien genannt: Genseki Habu (1768-1854), Leibarzt am Hofe des Shôguns, erlangte als Gelehrter der Augenheilkunde einen guten Ruf. Habu hatte die europäische Augenheilkunde bei Siebold studiert. Ryôsai Kô (1779 bis 18446), einer der berühmtesten Schüler Siebolds, wohnte später in Osaka und beschäftigte sich mit der Augenheilkunde.
Die Arbeiten von Bauduin, welcher im 1.Jahre der Bunkyû-Aera (1861 n.Chr.) nach Nagasaki kam, eröffneten eine neue Epoche in der japanischen Augenheilkunde. Der Augenspiegel nach Helmholtz, Atropin und einige andere Medikamente wurden seit Bauduin in Japan angewendet.

Geburtshilfe

In dem im 3.Jahre der An-ei-Aera (1773 n.Chr.) publizierten Sanka Hatsumô von Kakuryô Katakura können wir Referate aus englischen und holländischen Schriften über Geburtshilfe finden. Unerwähnt bleibe nicht, dass die japanischen Geburtshelfer jener Zeit schon instrumentell und operativ vorgingen. Ausser der Extraktion bei Fusslage, der Wendung auf den Kopf, der Wendung auf den Fuss, der Perforation mit dem scharfen Schlüsselhaken wurde noch die Extraktion mit der Fischbeinschlinge ausgeübt. Da diese Operation aber häufig am Kopfe des Kindes blutunterlaufene Stellen hinterliess, benutzte Randai Kagawa an Stelle der Fischbeinschlinge bei der Extraktion ein seidenes Tuch, das mit Hilfe zweier Fischbeinstäbchen um den Kopf des Kindes gelegt und dann mit einem eisernen Spatel festgezogen wurde. An Stelle des Tuches benutzte Rankô Kagawa ein seidenes Band und Ryûtei Tatsuno gebrauchte ein seidenes Netz.

Medizinische Schulen

Die Leistungen der in den obigen Abschnitten genannten Gelehrten und ihrer zahlreichen Anhänger hatten naturgemäss weitgehende Folgen. Schon im 4.Jahre der Ansei-Aera (1857 n.Chr.) richteten die in holländischer Medizin ausgebildeten Gelehrten eine medizinische Schule Shutôjo in Yedo ein. Später (1860) ging diese Schule in die direkte Verwaltung der Regierung über und wurde als Seiyô Igakujo, d.h. europäisch-medizinische Anstalt bezeichnet. Direktor war zuerst Gemboku Itô; diesem folgten Tôkai Hayashi und Shunsai Otsuki, und diesem endlich Kôan Ogata. Im 3.Jahre der Bunkyû-Aera (1863 n.Chr.) wurde die Organisation dieser Schule geändert und Ryôjun Matsurnoto zum Direktor ernannt. Sie ist wohl als der Uranfang der heutigen medizinischen Fakultät der Universität zu Tokyo anzusehen.
Im 1.Jahre der Man-en-Aera (1860 n.Chr.) errichtete Ryôjun Matsumoto auf Befehl des Shôguns ein Hospital in Nagasaki, in welchem medizinischer Unterricht erteilt wurde, und zwar teils von holländischen, teils von japanischen Ärzten. Unter den ersteren ist Pompe van Meerdervoort, ein holländischer Marinearzt, in erster Linie zu erwähnen. Er unterrichtete die japanischen jungen Ärzte ganz nach europäischem Muster. Zu seinem theoretischen Unterricht benutzte er die holländische Übersetzung von Virchows Zellular- Pathologie und Wunderlichs Handbuch der Hayashi, im Jahre 1862 als erste Studierende nach Holland gingen und an einer der dortigen Universitäten studierten. Nach Pompe van Meerdervoort kam Bauduin im 2.Jahre der Bunkyû-Aera (1862 n.Chr.) nach Nagasaki an Stelle des ersteren, seit dem 1.Jahre der Keio-Aera (1865 n.Chr.) dagegen war Mansfeld als Lehrer tätig. Auch in Kyoto wurde eine medizinische Schule Junsei Shoin im 1.Jahre der Bunsei-Aera (1818 n.Chr.) von Ryôtei Shingû gegründet. Ausser den oben genannten medizinischen Schulen bestanden auch einige europäisch-medizinische Schulen in den anderen Provinzen, von denen vor allen zu erwähnen sind: Soyûkwan in Kanazawa (1854 gegründet); Koseidô in Yonezawa; Saiseikwan in Fukui (1856 gegründet) usw.
Während dieser Zeit wurde auch ausser den nach europäischem Vorbild verfassten Büchern eine ausserordentlich grosse Anzahl von Werken von den Gründern der chinesisch japanischen medizinischen Schule verfasst. Das Mubenrokujutsu z.B., das im 1.Jahre der Gembun-Aera (1736 n.Chr.) von Naohisa Kawai publiziert wurde, ist das erste japanische Referat aus dem chinesischen Werke über gerichtliche Medizin.
Mankô Tai aus China kam im 2.Jahre der Shô-o-Aera (1653 n.Chr.) nach Nagasaki. Unter ihm erlernte Seichoku Ikeda spezielle Pathologie und Therapie der Pocken und gründete eine besondere Schule der Heilkunde, die sich ausschliesslich mit Pocken beschäftigte: Tôka, d.h. Pockenheilkunde. Im 1.Jahre der Enkyô-Aera (1744 n.Chr.) übte Jinzan Li zum ersten Male in Nagasaki die Variolation aus. Shunsaku Ogata publizierte im 7.Jahre der Kansei-Aera (1795 n.Chr.) das Shutô Hitsujunben, das erste japanische Werk über Variolation.

Aus dem oben Geschilderten geht hervor, dass die in Japan eingeführten holländischen medizinischen Bücher, die ursprünglich von deutschen Ärzten verfasst waren, schon nach einigen Jahren ins japanische übertragen wurden. Aber nur die bedeutendsten dieser japanischen Übersetzungen konnten hier genannt werden.

IX. Die Meiji-Zeit (von 1868 bis etwa 1900)

Infolge der grossen politischen Umwälzung im 1.Jahre des Nengô Meiji (1868 n.Chr.) wurde auch ein systematischer Unterricht auf medizinischem Gebiete eingeführt. Der englische Arzt Willis war auf Grund seiner Heldentaten im Bürgerkriege während der Umwälzung im Jahre 1869 zum Professor an der medizinischen Akademie zu Yedo und zum Direktor des dazugehörigen Krankenhauses ernannt worden. Es gelang ihm, den medizinischen Unterricht daselbst nach englischem Muster einzurichten, dessen ungeachtet war die Tätigkeit dieses englischen Arztes ohne tiefere Folgen, weil einige Professoren aus Deutschland an die neu gegründete Universität berufen wurden, nachdem Chian Sagara und Jun Iwasa, die damaligen Rektoren der Universität, an die Regierung eine Denkschrift gerichtet hatten, in welcher sie darlegten, dass zur Zeit die deutsche Medizin den ersten Platz in der Welt einnähme, und dass darum unser medizinischer Unterricht im wesentlichen nach deutschem Muster eingerichtet werden müsse.
So kamen der deutsche Oberstabsarzt Müller und Stabsarzt Hoffmann nach dem deutsch-französischen Feldzuge (1870/1871) als Professoren an die Universität zu Tokyo (dem ehemaligen Yedo). Die Tätigkeit von Müller und Hoffmann, welche nur mit aufopfernder Mühe und unter den grössten Schwierigkeiten ausgeübt werden konnte, war aber nicht vergeblich. Die grossartigen Leistungen ihrer Nachfolger Wernich, Gierke, Schultze, Doenitz, Langgard, Disse, Ziegel, Baelz und Scriba haben die Erwartungen ihrer Vorgänger schon in den darauffolgenden Dezennien in Erfüllung gehenlassen. Ausser an der Universität zu Tôkyô waren ziemlich viele europäische und amerikanische Mediziner in dieser Zeit an anderen Stellen Japans tätig. Von diesen sind besonders zu erwähnen: Wheeler (1871-1874), Anderson (1872-1879), im Marienkrankenhaus zu Tokyo, Massais, Manning, Beukema im Provinzialkrankenhaus zu Tokyo; Eldridge im städtischen Krankenhaus zu Yokohama; Ermerins im Provinzialkrankenhaus zu Osaka; Junker von Langegg (1872-1876), Mansfeld (1876-1877), Scheube (1877-1881) im Provinzialkrankenhaus und an der medizinischen Schule zu Kyôto; Junghaus, Roretz im Provinzialkrankenhaus zu Nagoya.
Es würde zu weit führen, die ausserordentlichen Errungenschaften für unsere Wissenschaft, die wir Japaner den europäischen, in erster Linie deutschen Lehrern zu verdanken haben, hier ausführlich zu besprechen.

Ärzte der holländisch-ostindischen Kompagnie in Japan

Von Dr. Arnold Gubler, Zürich

Während Jahrhunderten waren die Holländer (neben den Chinesen) die einzigen Fremden, denen in Japan ein bescheidener Handel erlaubt war. Auf der kleinen künstlich geschaffenen Insel Deshima im Hafen von Nagasaki hatten sie ihre Niederlassung mit etwas über einem Dutzend Leuten. Die holländischen Schiffe tauschten dort ihre Güter aus Europa und Indien gegen Kupfer und japanische Waren aus. Diesen Dienst hatte die holländisch-ostindische Kompagnie von Batavia aus eingerichtet, auch andere Niederlassungen, z.B. auf der malavischen Halbinsel, in Siam und zeitweise auch in Formosa wurden bekanntlich von dort aus beliefert.
Die Kompagnie erkannte bald, dass ihre Ärzte für sie auch kaufmännisch wichtig sein konnten, denn mancher von ihnen gewann zum Teil durch glückliche Heilungen, zum Teil durch Übermittlung medizinischen Wissens an die japanischen Dolmetscher der Gesellschaft und endlich durch naturwissenschaftliche, für die Japaner interessante Arbeiten so an Ruf und Ansehen, dass sich der Kompagnie manche Beziehungen ergaben, die sonst kaum zu knüpfen gewesen wären. Eine glückliche Fügung wollte es, dass einige dieser Ärzte ihren Fähigkeiten und ihrer Vorbildung nach Persönlichkeiten grössten Formates waren. Den bedeutendsten unter ihnen verdankt Europa die frühesten zuverlässigen Werke über Japan; sie werden mit Recht zu den grössten Asienforschern gezählt, und Japan verdankt ihnen nicht mehr und nicht weniger als die Einführung der europäischen Medizin. Wie nachhaltig die Tätigkeit dieser Ärzte der Kompagnie sich auswirkte, ersieht man am besten daraus, dass noch vor wenigen Jahrzehnten die europäische Medizin in Japan schlechthin als „holländische Medizin" bezeichnet wurde.
Unter den bedeutenden Ärzten der holländischen Kompagnie sind drei als überragend zu nennen: Engelbert Kämpfer, Carl Peter Thunberg und Philipp Franz v. Siebold. Sie seien kurz gezeichnet:
Engelbert Kämpfer (1651-1716) stammte aus einer westfälischen Pfarrersfamilie und widmete sich mit höchstem Eifer schon in früher Jugend naturwissenschaftlichen, medizinischen, philosophischen und sprachlichen Studien. An der Universität in Krakau promovierte er zum Doktor der Philosophie und sollte sich auf Wunsch des ihm wohl gesinnten Karl Xl. in Schweden als Arzt niederlassen; er zog es aber vor, als Sekretär mit der schwedischen Gesandtschaft zu reisen, die 1683 nach Persien fuhr. Dort gewann Kämpfer schnell einen bedeutenden Ruf als Arzt und betrieb ausgedehnte naturwissenschaftliche Studien, über die er in seinen „Amoenitates Exoticae"(1712) berichtete. 1688 reiste er ins Innere von Persien und kam 1689 als Arzt der holländischen Flotte nach Batavia, um ein Jahr später Arzt der holländisch-ostindischen Kompagnie in Deshima zu werden. Zweimal begleitete er den Leiter der Kompagnie auf der alljährlich wiederkehrenden Reise an den Hof des Shôgun in Tokio (damals Yedo), dem unter Huldigungen Geschenke überreicht wurden. Wie es dabei zuging, schildert Kämpfer besonders lebendig. Die Fremdlinge mussten auf Händen und Füssen kriechend ihre Reverenz erweisen, mussten auf- und abgehen und wurden dabei von den hinter einem Vorhang verborgenen Prinzessinnen und Hofdamen eingehend gemustert. Mit Ausnahme des „Capitains" mussten alle, auch Kämpfer, singen und tanzen, einander komplimentieren, einen Betrunkenen darstellen und, wie Kämpfer schreibt, „ordentliche Affenpossen" ausführen. Daneben aber kam es zu medizinischen Gesprächen mit den Ärzten des Hofes.
In Deshima unterrichtete Kämpfer Wissbegierige in Astronomie, Mathematik und in der Heilkunde. Seinen Schülern und seinen japanischen Patienten verdankte er viele wertvolle Auskünfte, besonders seinem intelligenten Diener, dem er Unterricht in Medizin und Chirurgie erteilte.
Seine Manuskripte druckfertig zu machen, verhinderte ihn zunächst seine grosse Praxis und später seine geschädigte Gesundheit. Als Kämpfer 1716 starb, war seine „Geschichte und Beschreibung von Japan" noch nicht abgeschlossen; sie erschien 1728 zuerst englisch, von Scheuchzer übersetzt, dann holländisch und deutsch.
Dieser älteste zuverlässige Bericht über Japan und sein Volk zeigt Kämpfers feine Beobachtungsgabe verbunden mit seiner durchaus unvoreingenommenen Einstellung den Japanern gegenüber.
Bemerkenswert sind die ausführlichen Angaben über die Akupunktur und das Moxabrennen.
Der schwedische Arzt Carl Peter Thunberg (1743-1827) folgte dem Vorschlag einiger holländischer Kaufleute, als Arzt der Kompagnie zu versuchen, die Flora und Fauna Japans zu studieren. 1775 traf Thunberg in Nagasaki ein und begann sofort eine botanische Sammlung anzulegen, die er in seiner „Flora Japonica" (Leipzig 1784) beschrieb. Es dauerte lange, bis Thunberg die Erlaubnis erhielt, das Land zum Botanisieren zu bereisen, aber je länger je mehr erhielt er, dessen wissenschaftliche Bedeutung von den Japanern bald erkannt wurde, Sammlungsmaterial in grösstem Ausmass.
In Deshima erteilte er japanischen Schülern, besonders den Dolmetschern, Medizinunterricht. Japanische Ärzte suchten ihn auf, um sich Rat zu holen. Besondere Bewunderung erregten die chirurgischen Instrumente Thunbergs, der u.a. die japanischen Ärzte in der Anwendung des Quecksilbers bei Lues unterwies. Die medizinischen Vorlesungen Thunbergs wurden von einem fleissigen Schüler gesammelt und später veröffentlicht. Es waren auch Schüler von Thunberg, die das Anatomiebuch von Johann Kulmus ins japanische übersetzten. Seine Erlebnisse in Japan, besonders wertvoll durch naturwissenschaftliche und völkerkundliche Beobachtungen, gab Thunberg in seiner „Voyage au Japon" (Paris 1796) wieder.
Als Professor der Botanik an der Universität Upsala starb Thunberg1822 hochbetagt.

Der grösste und bedeutendste unter den Ärzten der holländisch-ostindischen Kompagnie war aber unstreitig Philipp Franz von Siebold (1796-1866). Er stammte als Sohn des Würzburger Medizinprofessors Johann Georg Christoph von Siebold aus einer weitverzweigten Gelehrtenfamilie. In Würzburg studierte er Medizin, Naturwissenschaften und Völkerkunde. 1820 promovierte er, wurde Leibarzt des Königs Wilhelm 1. der Niederlande, kam als holländischer Militärarzt nach Batavia und erhielt dort das Angebot, die Arztstelle in Deshima zu betreuen und dabei naturwissenschaftliche Studien in Japan zu betreiben.
Mit allem erforderlichen Untersuchungsmaterial ausgerüstet, traf Siebold 1823 in Japan ein. Wöchentlich hielt er naturwissenschaftliche und medizinische Vorlesungen und schrieb noch vor Ende seines Ankunftjahres: „De historiae naturalis in Japonia Statu" (1824). In kurzer Zeit war v. Siebold der Mittelpunkt eines Kreises von japanischen Ärzten und Naturwissenschaftlern, der Hof erwies ihm besondere Ehrungen, von weither kamen Patienten, um sich von v. Siebold behandeln zu lassen. Mit Vorliebe betrieb v. Siebold die Augenheilkunde, lehrte japanische Ärzte die Operationstechnik am Auge, machte sie mit der Staroperation bekannt usw.
Ungeheures Sammlungsmaterial strömte ihm zu, da die von ihm kostenlos behandelten Patienten ihre Dankbarkeit durch Geschenke erwiesen und bald bekannt wurde, mit welchem Eifer v. Siebold ethnographisch oder naturwissenschaftlich interessante Gegenstände sammelte. In Narutaki gründete v. Siebold eine Medizin-Schule. Die Schüler mussten eine Art Dissertation schreiben über ein von v. Siebold angegebenes Thema. Meist wurden die Themen so gewählt, dass sie kleine, aber oft recht wichtige Beiträge bildeten zur Klärung medizinischer, naturwissenschaftlicher und ethnographischer Fragen, die zu Volk und Land Beziehung hatten.
In Deshima wurde ein botanischer Garten angelegt, in dem v. Siebold japanische Pflanzen kultivierte. Später begründete er gemeinsam mit seinen Schülern die botanische Gesellschaft von Ovari. Er machte auf die bisher unbekannten Heilpflanzen wie Digitalis, Scilla, Belladonna und andere aufmerksam. In Yedo demonstrierte v. Siebold augenheilkundliche Operationen, die er an einem Schwein ausführte, impfte und unternahm zum Teil in Gegenwart der Hofärzte verschiedene Operationen.
1878 wurden einige japanische Freunde v. Siebolds verhaftet, da der Regierung bekannt geworden war, dass sie v. Siebold geographische Karten Japans geschenkt hatten. v. Siebold durfte bis zum Ende der Untersuchung sein Haus nicht verlassen. Der Astronom und Bibliotheks-Direktor Takahashi Sakuzaemon wurde hingerichtet, andere Freunde oder Schüler wurden mit Gefängnis, Degradation oder Verbannung bestraft, so auch der Augenarzt Hanyu Genseki. Als sich die japanische Behörde überzeugt hatte, dass bei v. Siebold keine Rede von Landesverrat sein konnte, wurde er zwar begnadigt, aber er musste Japan endgültig verlassen (1829). In Holland konnte v. Siebold die grosse Zahl seiner Aufzeichnungen durcharbeiten und seine Sammlungen ordnen. Sein bedeutendstes Werk, das heute noch in vielem nicht überboten ist, ist „Nippon", Archiv zur Beschreibung von Japan und dessen Neben- und Schutzländern (Leyden 1832-1852).
In weiteren Werken schilderte v. Siebold die Flora und Fauna von Japan, die Entwicklung der japanischen Volkskultur und anderes mehr. v. Siebold wurde von der holländischen Regierung zum Berater für japanische Angelegenheiten ernannt, kehrte 1845 nach Deutschland zurück und erhielt 1853 einen Ruf nach Russland, wo er als Berater für ostasiatische Fragen tätig sein sollte. Als 1854 Japan sich dem Welthandel öffnete, konnte auch v. Siebold wieder dorthin zurückkehren (1859). Begeistert wurde er von seinen früheren Schülern aufgenommen. Er begann wieder damit, Medizin-Unterricht zu erteilen, Heilpflanzen zu kultivieren, einen geologischen Garten anzulegen usw. 1861 wurde v. Siebold an den Hof berufen um in politischen Fragen Rat zu erteilen. Die Rolle, die v. Siebold am Hof zu spielen berufen schien, erregte bei den Fremden in Japan ein solches Aufsehen, veranlasste so viel Intrigen, dass die holländische Regierung sich gezwungen glaubte, v. Siebold zurückrufen zu müssen. Die Ankunft und der Aufenthalt in Holland bereiteten v. Siebold bitterste Enttäuschung. Er bat um seine Entlassung und zog nach Würzburg, wo er sich ausschliesslich der Bearbeitung seiner Manuskripte und Sammlungen widmete. Er fasste den Plan, nochmals nach Japan zu ziehen. Viele seiner Schüler und Freunde hatten ihm auch nach seiner Abberufung treue Freundschaft gehalten und die Sehnsucht, in das Land seiner grossen Erfolge zurückzukehren, wurde übermächtig. Aber mitten in diesen Plänen überraschte ihn im Jahre 1866 der Tod.

Akupunktur und Moxa
Von Dr. med. K. R. Andrae

Die eigentliche japanische Medizin wurde in Japan fast restlos verdrängt durch die Kenntnisse und Behandlungsmethoden, die von China übernommen wurden, das lange Zeit das leuchtende Vorbild Japans war. Die chinesische Medizin, die mit Anschauungen der altjapanischen Medizin durchsetzt und in mancher Hinsicht vertieft wurde, herrschte bis zur endgültigen Einführung der europäischen Medizin restlos in Japan. Wenn diese chinesisch-japanische Medizin auch heute offiziell in Japan als überwunden gilt, so sind einige ihrer Vorstellungen immer noch in manchen Volkskreisen lebendig; besonders bei Anhängern des Shintoismus haben noch heute Reste der alt-japanischen Medizin die Geltung einer Art Volksmedizin. Aber zwei Behandlungsmethoden, die der chinesischen Medizin entstammen, haben in ganz Japan heute noch grösste praktische Bedeutung: Akupunktur und Moxa.
Die Akupunktur ist eine uralte Heilmethode, die vermutlich schon im Jahre 2336 v.Chr. ausgeübt wurde. Vielleicht sollten durch die Nadelstiche die krankheitsverursachenden Dämonen ausgetrieben werden. In Japan, wo die Technik der Akupunktur einige Wandlungen erfuhr, wurde sie schon 702 n.Chr. als besonderes Unterrichtsfach an den Medizinschulen gelehrt.
Die Akupunktur besteht darin, dass dem Patienten sehr feine bis zu 20 cm lange, federnde Nadeln, meist aus Gold oder Silber, durch die Haut gestossen werden; ursprünglich wurden in China feine Steinnadeln benutzt. Meistens wird die Akupunkturnadel mit einem besonderen Hämmerchen durch die Haut getrieben, dann je nach der Vorschrift nach einer bestimmten Richtung gedreht oder aber die Nadel wird mit Hilfe eines besonderen Griffes in die Haut gestossen. Die Akupunktur darf nur an ganz bestimmten Stellen vorgenommen werden; nahezu 400 Punkte, über dem ganzen Körper verteilt, werden als geeignete Einstichstellen bezeichnet. Sie liegen fast immer in unmittelbarer Nähe von oberflächlichen Nerven, aber auch die Bauchwand, besonders die Partie zwischen Nabel und Sternal-Rand wird sehr häufig zur Akupunktur benutzt. Um den Schüler, der die Kunst der Akupunktur erlernen soll, die in Betracht kommenden Stellen gut einzuprägen, lässt man Übungen an Puppen vornehmen und unterrichtet an Bronze- oder Holzmodellen, an denen alle für die Akupunktur in Betracht kommenden Stellen punktförmig aufgezeichnet sind. Es bestehen genaue Vorschriften, bei welchen Erkrankungen diese oder jene Stellen akupunktiert werden müssen und bei welchen Krankheiten andere. Ebenso gibt es genaue Vorschriften, wie tief bei den einzelnen Krankheiten die Nadel eingeführt werden muss; im allgemeinen werden die Nadeln nicht tiefer als bis zu 2 cm eingeführt. Auch wie lange entsprechend der zu behandelnden Krankheit die Akupunkturnadel (relativ selten werden mehrere Nadeln gleichzeitig angewandt) liegen bleiben muss, gibt die Akupunkturlehre ebenso genau an. Gewöhnlich lässt man die Nadel höchstens fünf Minuten stecken.
Die Zahl der Krankheiten, die meist von besonderen „Akupunkturärzten" mit der Akupunktur behandelt werden, ist ausserordentlich gross. Am häufigsten aber wird sie bei lokalen Schmerzen, bei rheumatischen und neuralgischen Beschwerden, bei Koliken, Krämpfen und Lähmungen angewandt, allerdings auch bei Nierenerkrankungen, Augenerkrankungen usw., ja sogar bei Karzinom wird vor ihrer Anwendung nicht zurückgeschreckt. Nicht allzu selten brechen Akupunkturnadeln ab, und früher wurden relativ häufig schwere Schädigungen zum Teil mit tödlichem Ausgang beobachtet. Heute darf in Japan die Akupunktur nur von solchen Personen ausgeführt werden, die einen ausreichenden Unterricht an einer Akupunkturschule erhalten haben (Gesetz vom 14. August 1911). Die Zahl dieser staatlich anerkannten „Akupunkturärzte" wird auf mehr als 70,000 geschätzt, von denen allerdings nicht wenige ausser Akupunktur noch die Moxibustion betreiben. Dass beide Verfahren trotz des offiziellen Verbotes gelegentlich oder ständig auch von nicht approbierten Personen ausgeübt werden, ist bekannt, auch, dass die Zahl dieser Gesetzübertreter gar nicht abgeschätzt werden kann. Jedenfalls ist durch die Schulung der Akupunktur-Betreibenden erreicht worden, dass heute trotz gelegentlich abbrechender Nadeln bedrohliche Abszessbildungen oder Allgemeininfektionen kaum noch beobachtet werden. Neuerdings versucht man, sowohl von japanischer als auch von europäischer Seite aus, die Wirkungsmöglichkeit der Akupunktur einwandfrei zu klären, ohne dass bisher eine eindeutige Erklärung der anscheinend zuweilen recht günstigen Wirkung, z.B. bei Neuralgien, gelungen wäre (Entzündungswirkung durch Fremdkörperreiz?).

Ärzte der holländisch-ostindischen Kompagnie wie ten Rhüjne, Kämpfer, v. Siebold u.a. haben als erste europäische Ärzte ausführlich über die Akupunktur berichtet. In Europa wurde und wird die Akupunktur in verschiedenen Ländern vereinzelt angewandt. Ihr ähnlich ist die von dem deutschen Mechaniker Baunscheidt (gest. 186o) angegebene Methode „(Baunscheidtismus"), bei der mit dem „Lebenswecker", einem Instrument, das zahlreiche Nadeln trägt, die Haut durchstochen wird. In die Stichöffnungen wird Krotonöl oder anderes eingerieben. Trotz der besonderen Glaubensfähigkeit der Anhänger des „Baunscheidtismus" wird diese Methode heute nur noch in bestimmten Kreisen ausgeübt.
Die Moxa-Therapie übernahm Japan etwa in der Mitte des 6.Jahrhunderts von China. Sie war zeitweise derart zum Volksgut geworden, dass z.B. in der Karnakura-Aera (ca. 1187-1333) die auf dem Schlachtfeld verwundeten Soldaten vor jeder Wundversorgung gegenseitig das Moxabrennen vornahmen. Noch bis zur Jahrhundertwende wurde die Moxibustion bei einer Unzahl von inneren, chirurgischen, Kinder- usw. Krankheiten nahezu von jedem angewandt. Erst vor wenigen Jahrzehnten kam die Vorschrift, nach der nur geschulte und geprüfte Personen das Moxabrennen gewerbsmässig betreiben dürfen.
Zur Moxa-Behandlung werden kleine, leicht brennbare Kegelchen oder zylindrische Stäbchen benutzt, die aus dem Brennkraut („Mogusa", Artemisia vulgaris, Beifuss) hergestellt werden. Man drückt sie auf die vorgeschriebenen Hautstellen und zündet sie an; es bildet sich ein Brandschorf und eine kreisrunde Narbe bleibt, meist von der Grösse eines Pfennigstückes. Ähnlich wie genaue Vorschriften für die Akupunktur bestehen, wo eingestochen werden muss, bestehen Vorschriften, an welchen Stellen bei bestimmten Krankheiten die Moxibustion vorgenommen werden muss. Schon Kämpfer berichtet, dass genaue Angaben über die Moxabehandlung in kleinen Büchern gemacht wurden, die auch erläuternde Zeichnungen enthielten, an welchen Stellen das Moxabrennen bei bestimmten Krankheiten vorgenommen werden soll. Meist werden bei einer Behandlung mehrere Moxa-Klümpchen (2-8) häufig an symmetrischen Stellen verbrannt. Im allgemeinen gilt als Regel, nicht mehr als jeweils ein reiskorngrosses Moxa-Häufchen anzuzünden. Am häufigsten werden die Moxacausis-Punkte in der Umgebung des Kniegelenkes und in der Lendengegend benutzt, aber es gibt viele Dutzende, früher hunderte von Körperstellen, die für das Moxabrennen in Betracht kommen, und nicht wenige Japaner haben Dutzende von Moxa-Narben, vor allem in der Lendengegend oder an anderen Körperpartien.
Auch die Moxibustion wird ähnlich wie die Akupunktur in erster Linie bei neuralgischen und rheumatischen Schmerzen angewandt, aber auch bei Arthritiden und bei vielen inneren Krankheiten, besonders solchen des Magendarmkanals, und endlich dient sie auch der Prophylaxe. Bedenklich erscheint, dass selbst Diabetes, Beriberi, venerische Krankheiten usw. als Moxaindikationen betrachtet werden und dass die Moxa-Anwendung bei Schwangeren zur Geburtserleichterung als gerechtfertigt gilt. Gelegentlich geschah und geschieht das Moxabrennen auch aus erzieherischen Gründen. In der alt-japanischen Kindererziehung war das leidenschaftliche Strafen unartiger Kinder strengstens verpönt. Zornausbrüche der Eltern den Kindern gegenüber galt als untrügliches Zeichen gröbster Barbarei. Gelang es nicht, das Kind durch gütliches Zureden zu bezwingen, dann diente, zugleich als Aufgabe, den Schmerz lautlos zu ertragen, nicht selten die Moxibustion als pädagogisches Hilfsmittel.
Wiederum waren die ersten europäischen Ärzte, die ausführlich über das Moxabrennen berichteten, Ärzte der holländisch-ostindischen Handelsniederlassung in Deshima. Vor allem bei Gicht wurde die Moxatherapie zeitweise auch in Europa angewandt. Sydenham äusserte sich 1681 sehr kritisch, aber Ende des 18.Jahrhunderts wurde das Moxabrennen durch Ponteau, Larrey u. a. zu einer einige Jahrzehnte dauernden Modetherapie, die dann vom Glüheisen abgelöst wurde.
Eine grössere Zahl japanischer Ärzte bemüht sich seit Jahrzehnten, die Moxa-Wirkung wissenschaftlich zu überprüfen. Bei der Moxibustion entsteht an der Brennstelle eine Temperatur von etwa 70° und man nimmt an, dass durch die verbrannte Haut ein Reiz im Sinne der Reizkörper-Therapie gesetzt wird. Bemerkenswert sind die mitgeteilten Veränderungen des Blutbildes: Leukozyten sowie Erythrozyten werden erheblich vermehrt, ebenso der Hämoglobingehalt, Blutzucker und Kalzium-Gehalt des Blutes. Die Gerinnungsfähigkeit des Blutes wird erhöht usw.
Die Anhänger der Moxa-Therapie, unter denen sich auch modern ausgebildete japanische Ärzte finden, glauben, dass bei Anwendung der Moxa-Therapie nach den erprobten Vorschriften nicht nur keine Schädigungen eintreten können, sondern ein deutlich erkennbarer therapeutischer Effekt vor allem bei neuralgischen und rheumatischen Beschwerden. Dagegen wird zugegeben, dass bei Anwendung unzweckmässig grosser Mengen von Moxa, bei falsch gewählten Indikationen und Brenn-Positionen schädigende Wirkungen zu beobachten sind. Trotz der verhältnismässig zahlreich vorliegenden Arbeiten dürfte die endgültige Klärung der Moxa-Therapie noch nicht gelungen sein.

Die Medizinstrasse (Doshomachi) in Osaka

Vor 200 Jahren reiste Tokugawa Yoshimune nach Edo (Tokio), um sein Amt als Shôgun anzutreten. Unterwegs erkrankte er Iebensgefährlich in Nartiwa (Osaka). Von einem Händler mit allerlei Heilmitteln erhielt er eine Medizin, die ihn sofort genesen liess, sodass er seine Reise fortsetzen und rechtzeitig sein hohes Amt in Edo antreten konnte. Aus Dankbarkeit für die schnelle Heilung gab Tokugawa Yoshimune der Stadt Naniwa (Osaka) die Erlaubnis, dass in 124 Häusern einer Strasse die Medizinhändler ihre Medizinen verkaufen durften. Diese Medizinhändler schlossen sich bald zu einer Art Bruderschaft „Ise-ko" zusammen, um durch Verehrung des shintoistischen National-Heiligtums der Insel den Segen für ihre Geschäfte zu erlangen.
1780 wurde in Osaka für Sukunahikonanokami, nach der Shinto-Religion der Gott der Medizin, ein Tempel errichtet. Als nach Jahrzehnten auf Veranlassung der Regierung die vielen im Lande zerstreuten Heiligtümer mit anderen grösseren Heiligtümern in der Provinz vereinigt werden sollten, erreichten die Medizinhändler in lebhaften Kämpfen, dass ihr Heiligtum des Medizingottes in Osaka bleiben durfte. 1910 wurde der jetzige Tempel errichtet und jedes Jahr wird zwei Tage lang (am 22. und 23. November) ein Fest zu Ehren dieses Heiligtumes gefeiert. Die Medizinstrasse ist dann aufs prächtigste geschmückt und erfüllt von einer frohen und festlich gekleideten Menge, die den Tempel des Medizingottes besichtigt und ihre Verehrung erweist.
Das Ganze erhält einen charakteristischen Anstrich durch buntbemalte kleine Papiermaché-Tiger, die an Bambuszweigen befestigt mit beweglichen Köpfen im Winde schaukeln. Die Besucher des Tempels, die aus allen Teilen der Provinz zusammenströmen, erhalten diese kleinen Tiger zum Andenken an das Fest des Medizingottes. Aber der kleine Tiger ist mehr als ein Andenken, er ist eine Art Krankheitsschutz, wenn er auch seines hin und her wackelnden Köpfchens wegen von den Kindern oft wohl mehr als Spielzeug gewertet wird.
Wenn auch die modernen medizinischen Anschauungen von Jahr zu Jahr mehr ins japanische Volk dringen, die Tatsache, dass das Fest des Medizingottes jährlich von Hunderttausenden besucht wird - es werden durchschnittlich 150,000 Tiger verteilt - zeigt, dass zur völligen Durchdringung des Volkes mit modern medizinischen Auffassungen noch ein weiter Weg ist.
Dass gerade die Nachbildung eines Tigers Schutz vor Krankheiten gewähren soll, geht auf die in Asien häufige abergläubische Verehrung des Tigers zurück. In Siam z.B. gilt sein Fleisch als heilkräftig, in Indien werden die Schnurrbarthaare des Tigers als Liebeszauber benutzt etc.
Vor etwa 100 Jahren verteilten die Medizinhändler in Osaka bei dem Tempelfest Pillen, die aus Tigerknochen hergestellt waren, gleichzeitig mit den Tigernachbildungen.
Die Verteilung der Tigerknochen-Pillen wurde später untersagt, das Verschenken der kleinen Tiger aber hat sich bis heute erhalten.                             Dr. Z.